Dante Valentine 05 - Hoellenschlund
das Buch. In der tiefen Stille, die ansonsten nur unterbrochen wurde, wenn ich tief Luft holte, hörte sich das Rascheln des Papiers sehr laut an. Als er die Seite fand, die er suchte, überreichte er mir beidhändig mit einer leichten Verbeugung das Buch, als würde er einer Königlichen Hoheit ein Geschenk darbringen.
„Natürlich kannst du dies nicht lesen. Aber die Abbildung ist aussagekräftig genug.“
Ich sah nach unten. Eigentlich hatte ich nur vorgehabt, den Blick kurz über die Seiten huschen zu lassen, aber meine Augen blieben an einer Illustration hängen, die die Qualität eines Holovidstandbilds hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite standen schlangenähnliche dämonische Glyphen.
In der Abbildung streckte eine schlanke, goldhäutige Frau mit einem Schopf langer, blutfarbener Haare flehend die Hände nach oben. Ihre weiße Bekleidung war zerrissen wie die eines Holofilmstars, und darunter, auf der rechten Seite ihres Bauches, sah man ein sich windendes Mal. Sie schrie zwar nicht, aber ihre Gesichtszüge drückten Furcht aus und etwas Flehentliches, in das sich verzweifelte Resignation mischte. Sie trug keine Waffen, und sie stand mit dem Rücken zu einer weißen Wand.
Vor ihr nahm ein Dämon ein Drittel der Seite ein, ein Dämon mit einer langen, schmalen Nase und dünnen Lippen, geschwungenen Augenbrauen, lasergrünen Augen und einem militärisch kurzen Haarschnitt. Das kurze, dunkle Haar wirkte, als sei sein Kopf mit Tinte bemalt. Er trug einen langen Talar mit hohem Kragen, der wie ein Federkleid hinter ihm herwehte und aus dem etwas Dunkles herabtropfte. Die Glyphe über seinem Kopf war mir vertraut, denn sie entsprach der, die in meine Haut eingebrannt war. Seine Hand war erhoben und hatte soeben mit einer schlanken, gebogenen Klinge einen grausamen Schnitt ausgeführt, und der Halbkreis, den die Klinge vollführt hatte, war als Blutregen dargestellt.
Unten rechts im Bild hatte sich ein Dämon zu einer Kugel zusammengerollt, die, von einem schrecklichen Schlag getroffen, nach hinten flog. Sein schmerzverzerrtes Gesicht war eingerahmt von dicken Strähnen weißen Haars. Die Glyphe über seinem Kopf, die seinen Namen wiedergab, entsprach dem Symbol auf dem Bauch der unglückseligen Frau.
Nur die drei und die weiße Wand hinter der Frau. Mir stockte der Atem. Langsam blickte ich wieder zu Sephrimel hoch.
Er nickte. In seinen dunklen, gepeinigten Augen schien das sanfte Licht den Schmerz noch zu vertiefen. „Ihr Name war Inhana.“ Die höllische Wut in seiner Stimme war verschwunden; stattdessen schwang in ihr jene müde Freundlichkeit mit, die ich bereits kannte. Sehnsüchtig formten seine Lippen den Namen der Frau. „Sie war meine Hedaira, und der Sippenmörder hat sie in der Stadt der weißen Wände ermordet, an einem Tag voller Blut und Wehklagen. Seit damals blute ich aus dieser Wunde, verlassen und allein.“ Das Buch schlug mit einem Knall zu, der so laut war, dass Staub von den Seiten aufflog. „Länger, als du dir auch nur vorstellen kannst, habe ich mir gewünscht, dass er elend zugrunde geht, unter allen grausamen Qualen, die die Hölle zu bieten hat. Und dennoch bringt er mir seine Geliebte und bittet mich um Hilfe.“
Oh Mann, da hattest du aber wirklich Pech, Alter. Nur unter Aufwendung äußerster Willenskraft konnte ich verhindern, dass ich die Worte laut aussprach. Als sich unsere Blicke trafen, war
es, als würde man mir ein Messer in den Bauch bohren. Ich konnte unmöglich noch tiefer in die Wand hineinkriechen, deren raue Oberfläche sich mir bereits in den Rücken bohrte und nach meinem zerwühlten Haar griff.
„Alles, was mir zur Verfügung steht, um Luzifer zu töten, wirst du von mir bekommen, Hedaira. Aber ich erwarte von dir eine Gegenleistung, und wenn du mir die verweigerst, werde ich dich niederstrecken, um mich an deinem Liebhaber zu rächen.“
Seine dünnen Lippen verzogen sich zu einem Totenkopfgrinsen und entblößten alte, starke, verfärbte Zähne, die von Sekunde zu Sekunde länger wurden. „So lautet die Abmachung. Ich schlage vor, du stimmst zu.“
Ich war mir ziemlich sicher, dass wir uns noch immer unter Sofya befanden, denn die Psinergie, die im Stein dröhnte, war angefüllt mit Frömmigkeit und Schmerz. Ich hatte nicht gewusst, dass der Tempel auf einem Labyrinth aus feuchtem, zerbröckelndem Fels gebaut war, das irgendwie trocken war, obwohl es unter dem Grundwasserspiegel lag; allerdings roch es ziemlich muffig. Und nach Dämon. Nein
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