Daphne - sTdH 4
von einem Junker als von einem Pfarrer an sich hatten und sich mehr
für die Jägerei als für ihre Gemeindeaufgaben interessierten.
Daphne
wandte sich wieder dem Nähzeug in ihrem Schoß zu. Aber ihr Herz klopfte heftig.
Sie hatte erst jetzt bemerkt, wie imponierend Mr. Garfield war. Er trug einen
makellosen blauen Schwalbenschwanz mit hohem Samtkragen. Seine biskuitfarbene
Hose schmiegte sich eng um seine kräftigen Schenkel, und seine hohen Stiefel
glänzten wie schwarzes Glas.
An seinem
Revers hing ein Monokel.
»Wie heißt
du, mein Kind?« fragte er behutsam.
»Daphne
Armitage«, antwortete Daphne und dachte dabei angestrengt darüber nach, was
sie Verrücktes sagen könnte.
»Ist deine
Mutter zu Hause?«
»Mutter
kommt. Horch!« sagte Daphne und legte eine zarte kleine Hand an ihr Ohr. Sie
hatte gerade den schwerfälligen Schritt Lady Godolphins gehört. Mrs. Armitage
war immer noch bettlägerig. Die Tatsache, daß sie, Daphne Armitage,
offensichtlich nicht einmal ihre eigene Mutter kannte, würde Mr. Garfield sicherlich
verwirren und dann endgültig davon überzeugen, daß sie verrückt war.
Lady
Godolphin kam hereingewatschelt. Beim Anblick von Mr. Garfield blieb sie wie
angewurzelt stehen, und ihre hervortretenden Augen hefteten sich geradezu
schamlos auf seine Beine.
»Ich bin
froh, daß Sie wieder wohlauf sind«, sagte sie. »Sie sind es doch, nicht wahr?«
»Wenn Sie
meinen, daß ich der Mann bin, der durch Mr. Armitages Fahrlässigkeit beinahe
das Leben verloren hätte, der bin ich.«
»Sie haben
mehr Glück als Verstand gehabt«, sagte Lady Godolphin. »Bist du nicht auch
dieser Meinung, Daphne?«
»Wer ist
der Verstand?« fragte Daphne unbestimmt und fing an, vor sich hin zu summen und
auf ihrem Stuhl leicht vorwärts und rückwärts
zu schaukeln.
»Mrs.
Armitage ...«, begann Mr. Garfield streng.
»Nennen Sie
mich nicht Mrs. Armitage«, entgegnete Lady Godolphin. »Wenn ich an diesen
Unsinn denke... Nimmt Unmengen Abführmittel. Sie hat versucht, ihre Innereien
mit Rhabarberpillen zu reinigen. Follikel! Sie gibt es nicht zu, aber sie will
abnehmen. Dünn ist nicht modern, aber das habe ich ihr auch gesagt. Ich bin
immer gut beieinander gewesen.« Ein sehnsuchtsvoller Ausdruck huschte über
Lady Godolphins Gesicht. »Mein Arthur, das heißt Colonel Arthur Brian, mit dem
ich mich so gut verstanden habe, der mich aber wegen einer aus der City
sitzenließ, nun, Arthur sagte immer, mich im Arm zu halten sei so angenehm,
wie wenn man in einer kalten Winternacht ein Federkissen an sich drückt. Er
hatte immer etwas von einem Poeten an sich, mein Arthur.«
»Madam«,
sagte Mr. Garfield und hob sein Monokel. »Habe ich richtig verstanden, daß Sie
nicht Mrs. Armitage sind?«
»Ihr Name
ist Lady Godolphin«, warf Daphne mit dünner, hoher Stimme ein. Dann blickte
sie Mr. Garfield von der Seite an und rollte die Augen, als sei sie nicht bei
Sinnen. Dazu steckte sie ihre Finger in die Mundwinkel und zog eine
fürchterliche Grimasse.
Mr.
Garfield wandte sich schnellstens ab. Godolphin, dachte er. Natürlich! Und
Armitage. Jetzt fiel es ihm ein. Das war doch der berühmte Pfarrer, der
drei seiner schönen Töchter so erfolgreich verheiratet hatte.
Plötzlich
wurde ihm wieder schwindlig, und er setzte sich, eine Entschuldigung murmelnd,
hin.
Der Arzt
hatte ihm strenge Bettruhe für die nächsten drei Tage verordnet, damit er sich
vollkommen von der Gehirnerschütterung erholte. Aber Mr. Garfield war so
aufgebracht über die Behandlung des Pfarrers, den er als bauernschlau und
ungeschliffen betrachtete, daß er entschlossen war, abzureisen. Als er wieder
ruhiger wurde, mußte er sich allerdings voller Reue eingestehen, daß seine Wut
teilweise seinem Verlust an Würde entsprang.
Obwohl er
kein Gesellschaftslöwe war, hatte Mr. Garfield die drei verheirateten
Armitage-Schwestern schon das eine oder andere Mal gesehen, da sie oft
eingeladen wurden.
Während er
sich von seinem Schwindelanfall erholte, musterte ihn Lady Godolphin eingehend.
Sie hatte ihn schon einmal gesehen, da war sie sich ganz sicher.
»Sie haben
sich noch nicht vorgestellt, junger Mann«, sagte sie schließlich. »Aber ich
weiß bestimmt, daß wir uns schon einmal begegnet sind.«
»Wir sind
uns vor ziemlich langer Zeit begegnet«, sagte Mr. Garfield und dachte
krampfhaft nach. Schließlich fiel es ihm wieder ein. Lady Godolphin. Im Moment
wirkte sie viel zurückhaltender als das letztemal. Da trug sie so viel
Schminke, daß sie
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