Dark Bd. 1 - Prinz der Dunkelheit
zurück, wie die Zunge zu einem fehlenden Zahn, angelockt von der Lücke.
Ich wusste, dass er mich umbringen würde.
Der Schmerz wurde mein Feind. Mehr noch als Graf Renar, mehr noch als mein Vater, der Leben verkauft hatte, die ihm teurer sein sollten als die Krone, oder Ruhm, oder Jesus am Kreuz. Und ich kämpfte gegen den Schmerz an, weil ich tief in meinem Innern, in einem hartnäckigen Graben egoistischer Verweigerung, nicht einmal im Alter von zehn Jahren irgendetwas oder irgendjemandem gegenüber kapitulieren konnte. Er eiterte und schwärte, wie die Fäulnis in einer Wunde, und nahm mir Kraft. Ich wusste und verstand genug, um das Gegenmittel zu kennen. Heißes Eisen für die Entzündung: Man brenne sie aus, mache sie rein. Ich schnitt alle Schwächen aus mir. Die Liebe für die Getöteten legte ich in einer Urne beiseite, als ein Studienobjekt und Ausstellungsstück, das nicht mehr blutete, von mir getrennt. Die Fähigkeit zu neuer Liebe brannte ich fort. Ich tilgte sie mit Säure, bis der Boden dort öde und unfruchtbar dalag, ein Boden, aus dem nichts sprießen, auf dem keine Blume wachsen konnte.
»Komm.«
Ich sah auf. Der Nubier sprach zu mir. »Komm. Wir sind so weit.«
Die Brüder waren um uns versammelt, bildeten eine zerlumpte, stinkende Gruppe. Price hielt eins der beiden Wärterschwerter. Das andere glänzte in der Hand eines zweiten Riesen, der nur ein bisschen kleiner und leichter war sowie ein bisschen jünger schien, Price ansonsten aber so sehr ähnelte, dass er aus dem gleichen Schoß stammen konnte.
»Wir kämpfen uns den Weg frei.« Price prüfte die Schärfe des Schwerts am Bart seiner Kieferpartie. »Burlow, Rike, wir übernehmen die Spitze. Gemt und Elban, ihr bildet den Abschluss. Tötet den Jungen, wenn er uns aufhält.«
Price sah sich im Raum mit dem Foltertisch um, spuckte aus und stapfte zum Flur.
Der Nubier legte mir die Hand auf die Schulter. »Du solltest hier bleiben.« Er nickte in Richtung Lundist. »Aber fall nicht zurück, wenn du mitkommst.«
Ich sah auf Lundist hinab und hörte Stimmen, die mir sagten, dass ich bleiben sollte. Vertraute Stimmen waren es, aber sie erklangen in der Ferne. Ich wusste, dass der alte Lehrer durch Feuer gegangen wäre, um mich zu retten, nicht weil er den Zorn meines Vaters fürchtete, sondern … einfach so. Ich fühlte die Ketten, die ihn an mich banden. Die Haken, spitz wie Dornen. Ich fühlte erneut die Schwäche. Schmerz kroch durch die Ritzen, die ich geschlossen glaubte.
Ich sah zum Nubier hoch. »Ich falle nicht zurück«, sagte ich.
Der Nubier schürzte die Lippen, zuckte die Schultern und ging los. Ich trat über Lundist hinweg und folgte ihm.
Meuchelmord ist nichts weiter als Mord mit etwas
mehr Präzision. Bruder Sim ist präzise.
14
Und so ritten wir aus Norwood. Die Bauern sahen uns nach, grämlich und verstört, und Rike verfluchte sie. Als wäre es seine Idee gewesen, sie vor Renars Scheiterhaufen zu bewahren, und als schuldeten sie ihm Dank und Jubel dafür. Wir überließen ihnen die Ruinen ihres Ortes, geschmückt mit den Leichen der Männer, die die Gebäude zerstört hatten. Kein guter Ausgleich, zumal die Brüder den Toten alles Wertvolle abgenommen hatten. Ich schätzte, dass wir bis zum Einbruch der Nacht Crath City erreichten, wenn wir zügig ritten, und an die Tore der Hohen Burg klopfen konnten, bevor der Mond aufging.
Ich hätte nicht zu meinem alten Leben heimkehren und wieder daran denken sollen, mich an Graf Renar zu rächen. Das sagte mir der Instinkt. Aber an diesem Tag sprach der Instinkt mit alter, trockener Stimme, und ich traute ihm nicht mehr. Ich wollte nach Hause, vielleicht deshalb, weil etwas anderes verlangte, dass ich nicht nach Hause ritt. Ich wollte nach Hause, und wenn sich die Tore der Hölle geöffnet hätten, um mich daran zu hindern, wäre ich nur umso entschlossener gewesen. Wir nahmen die Burgstraße, durchs Gartenland von Ankrath. Der Weg führte uns vorbei an sanften Flüssen, kleinen Wäldern und ruhigen Gehöften. Ich hatte vergessen, wie grün dieses Land war. Ich hatte mich an eine Welt aus aufgewühltem Schlamm, verbrannten Feldern, rauchgrauen Himmeln und verwesenden Toten gewöhnt. Die Sonne fand uns, drängte sich durch hohe Wolken. In der Wärme wurde unsere Kolonne langsamer, und das Klappern der Hufe verwandelte sich in träges Pochen. Gerrod blieb vor einem aus drei Stangen bestehenden Tor stehen, neben dem sich zu beiden Seiten Hecken
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