Dark Bd. 1 - Prinz der Dunkelheit
Lippen. Dicke, sinnliche Lippen hatte er. Makin hatte sich das Gesicht gewaschen, und sein Haar, kohlschwarz und lockig, glänzte wie die Rüstung. Sauber sah er gut aus, und für einen Moment hasste ich ihn uneingeschränkt.
»Setz dich«, sagte ich. »Der tüchtige Dräne kann bestimmt noch mehr Brot für uns finden.«
Makin ließ Katherines Hand los. Zu langsam, wie ich fand. »Leider, mein Prinz, bringt mich die Pflicht und nicht der Hunger zur Küche. Ich dachte mir, dass ich dich hier finden würde. Man ruft dich zum Thronraum. Bestimmt sind in den Fluren hundert Knappen unterwegs, die nach dir suchen. Und auch nach Euch, Prinzessin.« Er bedachte sie mit einem anerkennenden Blick. »Ich bin jemandem namens Galen begegnete, der Euch zu finden hofft.« In diesen Worten lag eine gewisse Spannung. Makin schien Sir Galen nicht mehr zu mögen als ich. Und er war ihm begegnet.
Ich nahm das Brot mit. Es war so schmackhaft, dass ich es nicht zurücklassen konnte.
Wir kehrten nach oben zurück. Während meiner Reise zur Küche schien die Hohe Burg erwacht zu sein. Knappen und Dienstmädchen eilten umher. Wächter mit Federbüschen marschierten zu zweit oder in Fünfergruppen, unterwegs zum Dienst. Wir wichen einem Lord aus, der einen Pelzmantel mitsamt goldener Kette trug und von Lakaien umgeben war – überrascht verbeugte er sich und brachte ein verdutztes »Guten Morgen, Prinzessin!« hervor.
Durch Flure und Säle erreichten wir das Flutgewölbe, die Vorkammer des Thronraums. Die Turnierrüstungen früherer Könige standen dort an den Wänden, wie hohle Ritter, die stumm Wache hielten.
»Prinz Honorous Jorg Ankrath und die Prinzessin Katherine«, wandte sich Makin an die Wächter vor der Tür. Er nannte mich vor der Prinzessin. Eine kleine Sache auf der Straße, im Flutgewölbe jedoch ein Detail, das Bände sprach. Hier ist der Thronerbe. Lasst ihn eintreten.
Die Wächter mit den Federbüschen auf beiden Seiten des Flurs standen so still wie die leeren Rüstungen hinter ihnen.
Nur ihre Augen folgten uns. Die in Panzerhandschuhen steckenden Hände ruhten auf den Knäufen ihrer Großschwerter, deren Spitzen den Boden berührten. Die beiden Tafelritter an der Thronraumtür wechselten einen Blick. Sie zögerten einen Moment und verbeugten sich vor Katherine und machten sich dann daran, die beiden großen Türflügel weit genug aufzuziehen, damit wir eintreten konnten. Einen von ihnen erkannte ich anhand des Wappens auf dem Brustharnisch: Hörner über einer Ulme. Sir Reilly. In den vergangenen vier Jahren war sein Haar grau geworden. Er mühte sich mit der Tür ab und strengte sich an, die dicken, mit Bronze beschlagenen Eichenbohlen zu bewegen. Schließlich schwangen die beiden schweren Türflügel auf, und die Lücke zwischen ihnen gewährte den Blick in eine Welt, die mir einst vertraut gewesen war.
»Prinzessin?« Ich nahm ihre Hand und hielt sie hoch, als wir den Thronraum betraten.
Den Erbauern der Hohen Burg fehlte es nicht an Geschick, wohl aber an Fantasie. Ihre Wände mochten zehntausend Jahre überdauern, eigneten sich jedoch nicht für Kunst. Der Thronraum war eine fensterlose Schachtel. Eine Schachtel mit einer Seitenlänge von gut dreißig Metern und einer sechs Meter hohen Decke, die die Höflinge unter ihr zwergenhaft erscheinen ließ – aber trotzdem eine Schachtel. Verzierte hölzerne Balkone für die Musikanten glätteten die scharfen Ecken, und das Podium des Königs gab dem Raum eine gewisse Pracht. Ich hielt meinen Blick vom Thron fern.
»Die Prinzessin Katherine Ap Scorron«, verkündete der Herold.
Der arme Jorgy wurde nicht erwähnt. Ohne ausdrückliche Anweisung hätte es der Herold sicher nicht gewagt, den Prinzen zu »vergessen«.
Gemessenen Schrittes gingen wir durch den Raum, beobachtet von Wächtern an den Wänden: Männer mit Armbrüsten links und rechts, Schwertkämpfer beim Podium und an der Tür.
Ich mochte namenlos sein, aber meine Ankunft sorgte zweifellos für Interesse. Abgesehen von den Wächtern und trotz der frühen Stunde hatten sich mindestens hundert Höflinge eingefunden. In Samt gekleidet drängten sie sich am Thronpodium und auf seinen Stufen. Ich ließ meinen Blick durch die Menge wandern und hier und dort bei teurem Schmuck verharren. Noch immer trug ich die Angewohnheiten der Straße und schätzte instinktiv den Wert der edlen Dinge, die sich meinen Augen darboten. Der üppige Busen dort war ein neues Streitross wert. Mit der Amtskette jenes Lords hätte
Weitere Kostenlose Bücher