dark canopy
Namen wir längst nicht mehr kennen. Farben, die so wild sind, dass man sie nicht in Büchern zeigen kann, weil sie sich nicht auf Papier bannen lassen, sondern wegfliegen.«
»So was gibt es? Dinge, die man nicht in Worten beschreiben kann?«
Oh ja. Sein Blick gehörte dazu. Ein Anflug von Staunen in eine Richtung, in die er noch nie gegangen war.
»Erzähl das nicht Graves.« Neél rieb sich über die Stirn und wischte den Ausdruck fort. »Für ihn existiert nichts, was sich nicht in seinen Büchern findet.«
Für dich denn? Existiert Unmögliches für dich?, wollte ich fragen, tat es aber nicht. Ich spürte, einer Grenze nahe zu kommen, wie so oft in den letzten Tagen. Der Grenze zwischen uns beiden, dem Percent und der Menschenfrau. Weiterzugehen, würde bedeuten, zu etwas anderem zu werden. Zu Neél und Joy. Es würde bedeuten, etwas zu tun, was sich nicht mehr rückgängig machen ließ. Verdammt sollte ich sein. Es war richtig, nicht weiterzugehen - die Seiten zu wechseln, kam nicht infrage, ich durfte nicht zum Verräter werden aber nun war ich in dem Zustand gefangen, dass es sich wider besseres Wissen falsch anfühlte. Böse Falle.
Der Falter stob auf. Neél zog den Kopf wie im Reflex zwischen die Schultern und ich erhob mich, um das flatternde Insekt zum Fenster hinauszuscheuchen. Die Wunde an meiner Hand heilte gut, aber meine Beine waren immer noch steif wie trockene Äste, meine Muskeln schmerzten und mein Kopf war müde und dröhnte gleichzeitig vom vielen Schlafen. Ich wedelte mit der gesunden Hand, so-dass der Falter hinausflog, und sah ihm nach. Es war so viel Staub in der Luft, dass man nicht einmal bis zu den Feldern gucken konnte, geschweige denn bis zum Wald. Es schien, als gäbe es kein Leben außerhalb der Stadt.
»Du hast im Fieber viel geredet«, sagte Neél hinter mir und klang dabei, als hätte er mit dem Satz darauf gewartet, dass ich mich umdrehte und ihn nicht ansah. »Über eine Amber. Einen Matthial. Penny. Will. Ein Baby. Und ein ... Vögelchen?«
Wenn das Fieber noch gewesen wäre, hätte ich die Augen schließen können. Der Himmel war bleischwer und noch schwerer wäre es gewesen, es länger aufzuschieben.
»Meine Freunde«, erwiderte ich. Der Versuch, mit fester Stimme zu sprechen, misslang kläglich. »Wobei ... nein, so kann man es auch nicht nennen. Dem Vögelchen, dem war ich kein Freund. Ich kannte nicht mal seinen Namen. Er war der kleine der Matches-Brüder und ich habe ihn Vögelchen genannt, weil er Flöte gespielt hat.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Ich habe ihn dazu gebracht, in die Stadt zu gehen, wo wir das Hotel anzünden wollten, und er ist getötet worden.«
Neél schwieg eine Weile und ich setzte mich wieder auf mein Bett, weil das Stehen anstrengend wurde.
»Warum wolltet ihr das Hotel anzünden?«
»Ich musste Amber retten. Sie haben sie gefangen genommen.«
»Sie?«
Ich seufzte schwer. »Ihr.«
»Verstehe«, sagte er, aber in seinem Gesicht breitete sich entgegen seiner Antwort Unverständnis aus. »Das heißt, warte mal. Ihr seid in die Stadt gekommen, um einen von euch zu retten?«
»Amber, ja.« Ich konnte nur noch flüstern. »Aber es war alles umsonst.«
Neél schüttelte den Kopf. »Cloud hat etwas anderes behauptet.«
»So?«, fragte ich mäßig interessiert. Ich konnte mir schon denken, dass sich die Percents Geschichten erzählten, die uns Rebellen radikal und blutrünstig erscheinen lassen sollten.
Neél kratzte sich an der Wange und kam wieder auf unser anfängliches Gesprächsthema zurück. »Was ist mit den anderen Rebellen passiert?«
»Willie ist tot.«
»Das waren auch wir?«, fragte er behutsam.
»Nein. Nein, das war ich. Ich und Matthial.« Ich hoffte, er würde irgendwie darauf reagieren, aber das tat er nicht. Er sah mich nur an und ich musste wohl oder übel ohne Hilfestellung weitersprechen. »Willie wollte sich eigentlich nicht beteiligen. Er war ein ruhiger Typ, sehr still, und mit der Welt zufrieden, solange er sich halbwegs sicher fühlte. Wir haben ihn manchmal aufgezogen, weil er in allem so korrekt und ordentlich war. Er hat sogar seine Schnürsenkel regelmäßig aus den Schuhen gezogen, sie mit Seife gewaschen und danach in kochendes Wasser geschmissen. Wegen der ... Bakterien.« Ich lachte, aber damit kaschierte ich bloß mein Schluchzen. »Er hatte einen Fehler.«
»Er mochte dich«, riet Neél.
»Ja. Und ich habe mich an ihn verkauft, damit er mit uns kämpfte.«
Neél gab ein leises, zustimmendes
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