Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
ersten Schluck in den Mund goss. Ich verschätzte mich und die süßsalzige Flüssigkeit rann mir aus den Mundwinkeln, über den Hals und versickerte in der Bettdecke und meinem Unterhemd. Er tat so, als hätte er nichts bemerkt, was es weniger peinlich machte. »Das Fieber kann wieder ansteigen, meint Mina. So sehr, dass du kaum bei dir sein wirst. Du musst trotzdem versuchen, ganz ruhig zu bleiben, in Ordnung? Die anderen dürfen nicht erfahren, dass du krank bist.«
    Ich setzte den Becher kurz ab und ließ den Kopf ins Kissen sinken. Es war ganz nass von Schweiß und meiner Kleckerei. »Wegen dem Kind?«
    »Vergiss das Menschenkind.« Er sprach sehr ernst, blickte an mir vorbei und kratzte sich an der Wange. »Krankheit zieht Schwäche nach sich. Ich will nicht, dass irgendwer dich für schwach hält.«
    Ich hätte gern die Augen über seine Ansichten verdreht, aber der Druck in meinem Kopf ließ mich den Versuch sofort bereuen.
    »Joy, ich meine das ernst. Reiß dich zusammen, hörst du? Schwäche bewirkt nur eins: Dein Gegner fühlt sich stärker. Und wer sich stark fühlt, der ist es auch.«
    Und wer sich fühlte wie ich gerade, war vermutlich stark wie ein Regenwurm im Bomberland nach vier Wochen Dürre. Um nicht antworten zu müssen, trank ich einen weiteren Schluck.
    »Langsam«, mahnte Neél, »sonst wird dir schlecht.«
    Ich sah zu ihm hoch und fragte mich, ob Percents kotzen konnten. Warum eigentlich nicht?
    Er tupfte mir die verschwitzte Schläfe ab und dann wischte er einen Tropfen verschüttetes Wasser von meinem Kinn. Skeptisch betrachtete er die Narbe, die sich bis über meine Unterlippe zog, und ich betrachtete ihn.
    Mein Kopf fühlte sich an, als wäre mein Gehirn wie meine Hand auf das Doppelte seiner Größe angeschwollen. Die Gedanken, die manchmal so schnell und flüchtig waren wie silberglitzernde Fische im Fluss, mussten sich ihren Weg durch völlig verstopfte Nerven bahnen. Jeder einzelne kroch so langsam, dass ich ihn prüfen, halten und beinahe greifen konnte. Es klingt verrückt, aber wer es selbst erlebt hat, weiß es: Im fiebrigen Delirium ist man vollkommen klar, weil alles langsam und beschaulich vonstattengeht.
    Mit diesem Gefühl betrachtete ich Neéls Gesicht und sah Dinge, die ich nie zuvor bemerkt hatte. Es war weniger ebenmäßig als das der anderen Percents. Die Nase war gerade wie bei allen, aber das linke Jochbein schien weniger ausgeprägt als das rechte, als hätte man es ihm ein Stück nach innen gedrückt. Und sein linkes Augenlid hatte nicht die gleiche hellbraune Farbe wie das restliche Gesicht, sondern war bleicher. Ich weiß nicht, was mich ritt - das Fieber vermutlich -, aber wider alle Vernunft hob ich die gesunde Hand, berührte sein Haar und zog ein paar Strähnen aus dem strengen Zopf.
    »Besser?«, fragte er. Sein Lächeln war an der Oberfläche etwas spöttisch. Darunter wirkte es sehr, sehr ernst.
    »Besser.«
    Statt dem Tuch spürte ich seine Finger kühl an meiner Stirn und für einen Moment wünschte ich, er würde mir seine ganze Hand aufs Gesicht legen, beide Hände, um das pochende Feuer in meinem Kopf zu löschen. Ich seufzte ungewollt. Gerade wollte ich die Lider wieder schließen, als es an der Tür klopfte. Neél zog seine Hand zurück.
    Mina kam herein. Sie trug einen Topf, den sie mit einem Holzbrett abgedeckt hatte, und stellte ihn neben meinem Bett auf den Boden. Neél atmete hörbar durch und ich musste schwer schlucken. Mina nahm den Deckel vom Topf. Dampf quoll hervor, so dicht, dass ich nicht sehen konnte, ob bloß Wasser darin war oder etwas anderes.
    »Wir sollten es unbedingt noch einmal wiederholen«, sagte sie in fast fragendem Ton zu Neél. Er knurrte als Antwort. Wovon auch immer sie sprachen - es gefiel mir nicht.
    »Joy, das wird wehtun. Denk daran, was ich dir gesagt habe. Nicht schreien.«
    Er beugte sich über mich, um meine Hand festzuhalten, die an der ihm abgewandten Seite auf der Matratze lag. Sie hatten ein Tuch daruntergelegt. Ich warf einen kurzen Blick auf den roten Klumpen, der das Ende meines Arms darstellte. Die Form einer Hand war das nicht mehr. Eher erinnerte es an den alten Gummihandschuh, den wir als Kinder gefunden und mit Wasser gefüllt hatten. Er war quietschend grün gewesen, meine Hand allerdings leuchtete in einem ungesund grellen Rot. Eine Farbe, die Haut nicht haben sollte. Mir wurde beinahe schlecht und ich drehte den Kopf weg, um Neél anzusehen. Er war ganz nah. Ich roch Kräuter, irgendeine Salbe, die

Weitere Kostenlose Bücher