Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
in die Nase biss, etwas extrem Süßes, Verfallendes (das Antibiotikum, vermutete ich) ... und ihn. Er roch immer ein bisschen nach Leder und morgendlichem Schnee, wenn er noch weiß und sauber war.
    »Ich muss das tun«, sagte er leise und im nächsten Moment fing ich an zu schreien und begriff erst Sekunden später, warum.
    Ein eiskalter Schwall ergoss sich über meine Hand. Dann wurde es heiß. Kochend heiß.
    Ich boxte Neél gegen die Brust, strampelte mit den Beinen und versuchte freizukommen, aber das war vollkommen aussichtslos. Sein Griff schloss sich wie eine eiserne Klammer um meinen Arm. Mit der anderen Hand drückte er mir den Mund zu und erstickte meine Schreie. Es gelang mir, einen kleinen Blick auf meine Hand zu werfen. Er hatte das getränkte Tuch einfach darauffallen lassen, die brennend heiße Flüssigkeit sickerte in die Wunde. Er flüsterte etwas. Ich solle mich beruhigen, ich solle daran denken, stark zu sein, ich solle ihm vertrauen.
    Er sollte tot umfallen, der Mistkerl!
    Ich versuchte, ihn zu beißen, aber ohne jede Kraft nutzten mir meine Zähne überhaupt nichts. Die Anstrengung und der Schmerz machten mich schwindelig und ein dunkler Ring aus Resignation zog sich um Neéls Gesicht zusammen und ließ das Bild vor meinen Augen schließlich komplett verschwinden. Ich hörte bloß noch Rauschen und Zischen und dann nichts mehr. Schwarze Stille senkte sich über mich.
    Wie lange ich ohnmächtig gewesen war, ließ sich beim Aufwachen nicht mehr erahnen. Vielleicht mehrere Minuten, wahrscheinlich aber nur ein paar Herzschläge lang (und mein Herz jagte).
    »Es ist vorbei. Hörst du mich, Joy?«
    Ich hauchte eine Antwort, die sowohl Ja als auch Nein bedeuten konnte, denn ich war mir nicht sicher, ob ich mit ihm reden wollte. Neél schien zufrieden, er lächelte, was seltsam verzerrt aussah.
    »Mina meint, es muss sein.«
    »Tust du immer, was Mina sagt?«, gab ich schwach zurück.
    »Wenn es um dein Leben geht ... vielleicht.«
    »Oh.« Ich hatte nicht gedacht, dass es so schlimm um mich stand.
    Er musste mir meine Bestürzung angesehen haben, denn er strich mir übers Haar, was mich erstarrten ließ. Nicht einmal zittern war mehr möglich. Er tat so, als würde er nichts merken, und reichte mir den Becher. Mein Mund war so trocken, als hätte ich seit Wochen nichts getrunken.
    »Das Schlimmste hast du hinter dir«, sagte Neél leise. »Du hast verdammt großes Glück, dass wir eine Apothekerin haben, die gutes Antibiotikum herstellt. Wie sie das macht«, er feixte, »willst du aber nicht so genau wissen.«
    Eigentlich wollte ich es doch wissen, zumindest, wenn ich ihn so dazu bringen konnte, mit mir zu reden. Im Fieber fühlt man sich schwebend. Haltlos. Trudelnd, zwischen Realität und Traum, oder eher gesagt ... Wahn. Der Kontrollverlust machte mir Angst. Seine Stimme gab mir etwas, das mich mit dem Hier und Jetzt verband. Ich versuchte, mich zu erinnern, was Neél über Träume gesagt hatte, aber die Gedanken waren zu sperrig. Ich trank den Becher leer und versuchte, ihn auf die Kiste neben meinem Bett zu stellen. Selbst meine gesunde Hand war so tatterig, dass der Becher umkippte und auf den Boden kullerte.
    Neél hob ihn wortlos auf.
    »Erlaubst du ...« Er griff nach meinem Arm, wartete keine Antwort ab. Vermutlich hatte er nur gefragt, damit ich keinen Schreck bekam. Vorsichtig wickelte er ein feuchtes Tuch um meine Hand. Für einige Atemzüge linderte die Kälte das Brennen der Entzündung, doch schnell gewann das Feuer wieder die Oberhand. In der Wunde puckerte es bestialisch. Als würde der Eiter sich mit jedem Herzschlag verdoppeln. Absurderweise war es mir peinlich. Erst hatte ich mich von einem Kind beißen lassen und dann auch noch so wenig auf die Wunde aufgepasst. Dabei wusste ich, wie schnell sich ausgerechnet Menschenbisse entzündeten. Ob Neél das zerstörte Gewebe riechen konnte? Ob er sich auch davor ekelte?
    »Die Apothekerin sagte, in den Rebellenclans gäbe es kein Antibiotikum.« Er sprach zu sich selbst, als würde er laut denken. »Und ohne Antibiotikum wärst du gestorben.«
    »So schnell stirbt man nicht.«
    »Du warst zwei Tage nicht ansprechbar, Joy. Zwei Tage sind mehr als genug Zeit, um zu sterben.«
    Was sollte das werden? Wollte er mir einreden, welche Vorteile das Leben in der Stadt hatte? Ich verdrängte die Information über die zwei Tage. Ihm zwei Tage hilflos ausgeliefert gewesen zu sein, fühlte sich unvorstellbar an. Nur fort mit diesem Gedanken;

Weitere Kostenlose Bücher