dark canopy
es zu weh, ihn in meiner Erinnerung kämpfen zu sehen.
Vor zwei Tagen hatte ich mich überwunden und Neél gebeten, in Erfahrung zu bringen, ob Matthial, Liza und die anderen geschnappt worden waren. Neél war erschüttert. Er hatte angenommen, ich wüsste das bereits, und verstand nicht, warum ich ihn nicht vorher gefragt hatte.
»Ich war nicht sicher, ob ich die Antwort ertragen hätte«, erklärte ich ihm. Das war eiskalt gelogen. Ich hatte ihm ihre Namen nicht sagen wollen. Namen bedeuteten Macht. Macht, die Neél nicht über meine Freunde haben sollte. Ihm zu vertrauen, fiel mir weiterhin schwer. Nachdem ich im Fieber geredet hatte, war allerdings ohnehin fast alles gesagt.
Neél schickte Graves, der fragte einen anderen, und der wiederum schickte einen weiteren Percent nach den Informationen. Als Neél mir die Antwort brachte, erschien sie mir unrealistisch, nicht greifbar. Verschleiert.
»Du hattest recht«, sagte er. »Willie und ein anderer starben noch auf der Straße, eine Frau namens Liza und drei Männer wurden gefangen genommen. Ich konnte ihre Namen noch nicht in Erfahrung bringen. Aber die Söhne des Clanführers gehören zu denen, die entkommen sind.«
Er wirkte erleichtert. Ich war es nicht.
• • •
Eine Fliege krabbelte die Wand hoch. Früher hätte ich sie sogar aus größerer Entfernung getroffen. Ich warf. Das Messer schlug gegen die Wand. Die Fliege flog eine Acht durchs Zimmer und streifte fast meine Nase, als wollte sie mich verspotten. Ich fluchte, sammelte das Messer ein und erntete ein unwirsches Geräusch von Neél, der über seinen Papieren saß.
»Grauenhafter Wurf«, murmelte ich.
Zu allem Überfluss war die Klinge an der vorderen Spitze einen Fingerbreit abgebrochen. Man warf solche Messer eben nicht gegen Betonwände, beim Licht der Sonne noch mal!
»Brauchst du Hilfe?«, brummte Neél, ohne aufzusehen.
»Spiel die Zielscheibe für mich, Percent!«, blaffte ich zurück. Er schmunzelte die Karte an, auf der er irgendwelche Punkte einzeichnete.
Ich sah genauer hin. »Sind das die Fundorte der Leichen?«
»Nicht nur. Die ausgemalten Kreise sind Leichen, die Kringel Leichenteile und die Kreuze alles andere, was wir mit den Fremden in Verbindung bringen. Pässe, Waffen, die es hier nicht gibt ...«
»So was habt ihr gefunden?«
Er deutete auf einen Punkt westlich der Stadt, ganz in der Nähe von unserem Clangebiet. Nein - in unserem Clangebiet. »Hier haben wir eine Pistole gefunden, der Typ wird bei uns nicht hergestellt. Sie war aber eindeutig zu neu, um aus der Zeit vor der Übernahme zu stammen. Wir haben sie zur gleichen Zeit gefunden wie den Pass, den ich dir gegeben habe - und ganz in der Nähe. Daher dachte ich, du wüsstest vielleicht, wem beides gehört.«
»Nein, keine Ahnung. Warum lässt jemand etwas so Wertvolles wie eine Pistole liegen?«
»Vielleicht, weil er weiß, dass es hier keine passenden Kugeln gibt, sobald er sie leer geschossen hat. Die Waffe schien mir empfindlich. Nicht wie die, die alles abschießen, was man reinstopft, und wenn es ein Mutantrattenköttel ist.«
Das klang plausibel. Ich studierte die Karte mit ihm gemeinsam, verriet ihm ein paar Stellen, die falsch eingezeichnet waren, wie zum Beispiel eine Verbindung zwischen dem Kanal und einem Fluss, die es nicht gab. Neél markierte alles mit schnellen, sauberen Tintenstrichen, ohne meine Angaben infrage zu stellen. Schnell sah die Karte unbrauchbar aus, so sehr war sie bekritzelt, aber wir beide wussten, dass die Landkarte erst dadurch wirklich wertvoll wurde. Er würde sie neu abzeichnen. Im Kopf machte ich ein Kreuz an der Stelle, wo ich meine Papiere gefunden hatte, aber das brachte nicht den entscheidenden Lösungspunkt, durch den alle anderen Punkte wie durch Zauberhand zu einem Symbol verschmolzen. Wäre auch zu schön gewesen.
Ich hatte inzwischen entschieden, meine Papiere herzugeben. Sobald wir die Villa wieder aufsuchen würden, sollten Neél, Graves und ihre Freunde sie bekommen. Vielleicht halfen sie ihnen. Ein paarmal spielte ich mit dem Gedanken, Neél die Blätter vorher zu übergeben, aber als ich ihm gegenüber andeutete, Papiere zu besitzen, dachte er nur an den Pass und sagte, ich solle ihn noch behalten. Also wartete ich ab und freute mich auf sein erstauntes Gesicht, wenn ich die Katze aus dem Sack lassen würde.
• • •
Am gleichen Abend ließ Neél mir eine Scheibe von einem gefällten Baumstamm bringen und hängte sie an die Wand, bevor er zum Schlafen
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