dark canopy
Mina erzählt, dass Percents wie am Fließband hergestellt wurden, denn überall auf der Welt bestand große Nachfrage. Proteststimmen, die nach Rechten für die Percents verlangten, wurden niedergemacht und als Feinde des Fortschritts diffamiert. In Anbetracht dessen, dass Menschen die Arbeiten in den atomar verseuchten Gebieten nicht übernehmen konnten, verstummten die Skeptiker nach und nach.
Ich war erstaunt gewesen, was Mina alles wusste. Sie musste sich lange mit der Geschichte der Percents beschäftigt haben. Als ich sie fragte, lächelte sie und sagte: »Ich lese jedes Buch, bevor es vernichtet wird. Und manchmal bin ich hinterher froh, dass es verbrannt wird. Es ist wie ein Zeichen, dass sich so etwas nicht wiederholen soll.«
• • •
»Mina trägt den Kopf in den Wolken«, sagte ich unwillkürlich. Es musste zusammenhanglos auf Neél wirken, aber er lächelte, als verstünde er genau.
»Ich weiß, was du meinst. Sie hasst die Vergangenheit, glorifiziert die Gegenwart und verträumt die Zukunft.«
»Sie glaubt diesem Buch und ihren alten Broschüren blind. Sieht sie denn gar nicht, dass es heute die Menschen sind, die ebenso übel ausgebeutet werden?«
»Sie glaubt, ihr hättet es verdient. Das sagt sie oft: Jeder bekommt, was er verdient.«
Das war doch krank! Sie war ein Mensch und stellte sich auf die Seite der Percents, weil die - angeblich - vor hundert Jahren unterdrückt und ausgenutzt worden waren?
»Es ist nur ein Gerücht«, fuhr Neél fort, »aber es heißt, Mina wäre eine Nachfahrin jener Wissenschaftler, die uns erfunden haben. Sie glaubt, sie müsste das wiedergutmachen. Von ihr stammt auch die Idee zum Optimierungsprogramm, sie hat es entwickelt.«
Das war es also wieder, dieses Wort, das überall, wo es in der Luft erklang, diesen unangenehmen, bedrohlichen Nachhall nach sich zog.
Wir erreichten die Villa, aber Neél ging nicht zur Tür, sondern ließ sich auf den abgetretenen Stufen davor nieder. Ich lehnte mich gegen die Mauer, sodass ich etwas höher stand als er. Ich mochte es, wenn er zu mir aufblickte; ich sah es gerne, wenn seine dichten Wimpern die Augen überschatteten und ich raten musste, ob das Lächeln auf seinen Lippen echt war oder ob der Spott in seinem Blick dominierte.
»Und was genau bedeutet Optimierungsprogramm nun?« Vielleicht wäre Unwissenheit in diesem Fall doch die bessere Wahl gewesen. Denn was er dann sagte, ließ mich trotz meiner düsteren Erwartungen zusammenzucken.
»Optimiert bedeutet geboren .«
»Geboren«, wiederholte ich stumpf. »Wie soll das möglich sein? Es gibt keine Percent-Frauen. Du willst mir doch nicht erzählen, das sei ein Gerücht und es gibt Frauen, man kann sie nur nicht von den Männern unterscheiden.« Ich kicherte, um meine Furcht zu überspielen. »Das wäre ja schlimm. Für die Frauen.«
Er lachte nicht und das bereitete mir ernsthaft Sorgen. »Du hast recht. Es gibt keine Frauen.«
Ich biss mir ein Stück Fingernagel ab und murmelte gegen meine Hand. »Menschen?«
Er starrte den Boden an. »Es ist noch nicht lange möglich, aber seit einer Weile entstehen die Ersten von uns auf einem Weg, den ihr wohl als natürlich bezeichnen würdet.«
»Du meinst ...?« Ich machte jene peinliche Geste mit den Händen, mit der wir als Kinder das Wort Sex überspielt hatten. Prompt schoss mir das Blut in den Kopf. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Percents fortpflanzungsfähig waren. »Das bedeutet, im Optimierungsprogramm sitzen Frauen, die ihr schwängert, um bessere Percents zu schaffen.«
»Genau so ist es.«
»Gegen ihren Willen?« Lüg, dachte ich, bitte lüg mich einfach an.
Aber Neél hatte mich noch nie geschont. »Wer macht so etwas wohl freiwillig?«
»Und du ... du bist auf diesem Weg ... zur Welt gekommen?« Mein Fingernagel war nun völlig abgebissen, ich nagte an der Haut.
Er nickte und warf mir einen Blick von schräg unten zu, den ich schlecht einschätzen konnte. »Ich gehöre zu den Ersten aus dieser Testreihe.«
Das konnte erklären, warum er anders war als die anderen Percents. Doch für den Augenblick galten meine Sorgen nicht ihm.
»Warum erzählst du mir das? Ist es wahr, was die anderen Soldaten gesagt haben? Komme ich dahin, wenn sie mich beim Chivvy kriegen?«
Er zog Luft zwischen den Zähnen ein. »Sie planen es. Die Rede ist von einer ganzen Versuchsreihe von Frauen, die sich im Chivvy beweisen müssen und dadurch vorsortiert werden.«
»Die Stärksten kommen in die Zucht und die
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