dark canopy
bist.«
Ich musste daran denken, dass ich ständig die Blicke der Percents spürte. Oder die Fährte des Wildes, wenn ich jagte. Schnee oder Sturm, lange bevor er kam. »Mein Instinkt funktioniert bestens, glaub mir.«
»Dann frage ich mich, warum du ihn nicht nutzt. Er führt dich sicher, wenn du lernst, auf seine Signale zu reagieren.«
Ihrer Stimme nach umkreiste sie nun den Tisch. Da war ein Auf und Nieder in den Worten, so als ... ja, so als drehte sie sich. Sie tanzte! Irgendwo da mussten die Bruchstücke der Vase liegen, aber weder hörte ich Scherben knirschen noch gab Alex einen Schmerzenslaut von sich.
»Du bist eine Künstlerin!«, rief ich unwillkürlich und zuckte im gleichen Moment zusammen. Das hatte Penny immer zu mir gesagt, wenn ich mein Messer geworfen hatte. Ich ballte meine rechte Faust, so weit ich konnte. Mein Arm zitterte vor Anstrengung, aber die Finger blieben versteift.
»Jeder kann das lernen«, sagte Alex. »Selbst Fledermäuse können es. Willst du behaupten, Fledermäuse seien dir überlegen?«
»Fledermäuse können fliegen, Alex.« Ich versuchte mich an unterschiedlichen Lauten und musste feststellen, dass sich mein zischelndes Pfeifen durch die Zähne tatsächlich anders anhörte, wenn ich den Kopf drehte.
»Neél hat mal ein großes buntes Stoffstück und Streben aus einem Leichtmetall gefunden. Wir haben das Gerät rekonstruiert. Es ist von vor dem Krieg und weißt du, wofür es gut war? Zum Fliegen! Vor dem Krieg konnten die Menschen fliegen.«
Der alte Laurencio hatte uns davon erzählt, aber wer wusste schon, was Vergangenheit war und was Märchen. Bücher waren gute Lügner.
»Ich habe gehört«, erzählte ich, »dass früher Menschen in Raketen zum Himmel geschossen wurden. Dort verbrachten sie viele Jahre. Man fror sie sogar ein und taute sie wieder auf, damit sie weitere Strecken reisen konnten und unterwegs nicht alt wurden und starben. Stell dir vor, einer von denen kehrt irgendwann zurück.«
Alex lachte. »Der dürfe sein blaues Wunder erleben. Aber vielleicht gefällt es ihm sogar.«
»Denkst du denn, dass es heute besser ist als früher?« Wieder so eine Frage, die ich bereute, bevor sie ganz ausgesprochen war. Und offenbar war ich zu weit gegangen, denn Alex antwortete gar nicht erst darauf.
Ich tastete mich durch den Raum. Pfiff, lauschte, lauschte, pfiff. Die Unterschiede waren da, aber sie einzuschätzen, schien unmöglich. Ich atmete tiefer, versuchte, mit dem, was ich roch, zu sehen.
Moder im Stein, ein Anflug von Schimmel. Ich folgte dem Geruch und blieb stehen, wo er am stärksten war. Mit den Fingern berührte ich den Boden, strich über den Marmor und leckte die Fingerkuppe ab. Bloß Staub.
»Über mir«, murmelte ich, »könnte ein dunkler Fleck sein. Da gab es vielleicht mal einen Wasserschaden.«
»Du rätst. Aber du darfst nicht raten. Du sollst sehen. Du darfst keine Angst vor Fehlern haben. Etwas Falsches zu tun, ist viel weniger schlimm, als gar nichts zu tun. Mit dem Sehen ist es nichts anderes. Also noch mal. Was siehst du?«
Ich seufzte. »Einen dunklen Fleck an der Decke, der von einem Wasserschaden stammt. Zufrieden?«
»Du denn nicht? Du hast gerade ohne deine Augen gesehen. Wer ohne Augen sehen kann, kann ohne Berührungen fühlen und ohne Seele lieben.«
Wie kitschig. Ihr Pathos überschritt meine Schmerzgrenze. »Und was nützt mir das?«
»Denk an den Herbst«, verlangte Alex. »Was siehst du?«
Tausend Dinge. Menschen auf den Straßen, die das verfluchte Zeichen für Respekt machen, während Glockenklänge vom Band kommen. Percents, stolz und überheblich in ihren Schauwagen. Kinder, die die besten Teile der Ernte als Tribut abgeben müssen. Gefüllte Keller und das Wissen, dass es dennoch nicht über den Winter reichen wird, wenn sie kommen, um sich ihren Anteil zu holen. Wunde, aufgerissene Hände vom Weben, Stricken und Nähen. Matratzen, von denen man die Überzüge gerissen hat, um ein dringend gebrauchtes Babyjäckchen daraus zu nähen. Nackte, blutende Hühner. Federn wachsen nach und manchmal legen sie trotzdem weiter Eier.
Das Chivvy. Menschen, die rennen. Um ihr Leben.
»Willst du wissen, was ich sehe?«, fragte Alex. »Ich sehe eine dichte Laubschicht über den Sümpfen.«
Sie hatte durchaus recht. Man sah die Sümpfe im Herbst nicht. Sie zu riechen, war ein Vorteil - den auch die Percents genossen.
»Ich sehe schwarz«, sagte ich schlicht.
Alex schnaubte, ich spürte ihren Atem auf meinem Arm. »Wie
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