dark canopy
Matthial ins Ohr. »Und schön der Reihe nach. Wer will Joy umbringen?«
• • •
Ich hatte Neél oft genug wütend erlebt. Aber als wir nun durch die engen Gassen zu Clouds Haus hasteten, raste er vor Zorn. Er wich den letzten Pfützen, die in der Wärme langsam verdunsteten, nicht aus, sondern stiefelte geradewegs hindurch, sodass Schmutzwasser spritzte. Ich kam kaum hinterher, längst rasselte mir keuchend der Atem durch die Kehle und trocknete meinen Mund aus. Mein Puls, der eben noch aus Angst um Matthial so wild geschlagen hatte, bekam keine Chance, sich zu beruhigen.
Lauf, Matthial, verschwinde!, betete ich in Gedanken. Neél hatte ihn gehen lassen, doch ich wusste nicht, was er Cloud erzählen wollte. Ich wusste nur, dass Cloud niemanden gehen lassen würde.
Widden bezahlte die Varlets, die am Chivvy teilnahmen, dafür, mich zu töten. Wie war Matthial an diese Information gelangt? Ob sie glaubwürdig war? Matthial ging fest davon aus, aber was, wenn er einer Lüge aufsaß? Doch Neél glaubte ihm, sein Zorn ließ keine Zweifel.
Natürlich war uns von Anfang an klar gewesen, dass Widden wütend werden würde, wenn Neél ihm Amber wegnahm. Es hatte mich erstaunt, dass wir bisher nichts von ihm gehört hatten. Nun wussten wir den Grund. Mit einem Kopfgeld hatte selbst ich nicht gerechnet.
Ich fröstelte, meine Hände schwitzten so schlimm wie noch nie und nicht einmal die Aussicht, Amber zu treffen, beruhigte mich. Vielleicht hätte Neél mich trösten können, doch er schien vor mir fortzulaufen. Er hatte Matthial mit Tritten und Drohungen vertrieben, nachdem dieser mir seine vagen Informationen und ein paar geflüsterte Pläne, wie er und sein Clan mir beim Chivvy helfen würden, preisgegeben hatte. Kein einziges Wort hatte Neél bisher an mich gerichtet, keine Berührung, keinen Blick. Ich war allein. Meine wilde Malve lag in unserem Zimmer, weit weg.
Neél hämmerte an Clouds Haustür und ich bekam Angst, dass er das Holz einschlagen würde. Cloud öffnete selbst.
»Neél!«, fuhr er ihn scharf an. »Ich hatte dir untersagt, sie herzubringen.«
Kein Problem, ich wäre ohnehin gerade lieber woanders.
»Es ging nicht anders.« Neél nutzte eine kleine Nische, die Clouds breiter Körper im Türrahmen freiließ, und schob mich ins Haus. Meine Schulter schrammte an Clouds Brust entlang. Ich wischte mir die klitschnassen Hände an meinem Hemd ab und wünschte mir, mich einfach aufzulösen, bis nur noch eine salzige Pfütze von mir übrig war, die man ruhig finster anstarren konnte, da sie es in Ermangelung von Augen und Gefühlen niemals merken würde.
»Cloud«, begann Neél und zog mich wie ein störrisches Pferd hinter seinem Mentor her ins Wohnzimmer. »Ich habe erfahren, dass es eine Intrige gegen Joy und mich gibt.«
»Ist das etwas Neues?«, fragte Cloud ruhig. Er trat zu einem Schrank, nahm ein Glas heraus und goss es mit goldener Flüssigkeit halb voll. Vermutlich war es Gebrannter.
Ich nutzte den stillen Moment und lauschte nach Mina und Amber. Zwar konnte ich nichts hören, aber im ganzen Haus roch es nach Suppe, vermutlich waren sie also da.
»Ich nehme an, es betrifft das Chivvy«, sagte Cloud schließlich und Neél nickte.
»Widden manipuliert. Meine Quelle spricht sogar von einem Kopfgeld, das er ausgesetzt hat.«
»Ich habe es dir bereits gesagt und wiederhole mich ungern, aber wer sich abschottet wie du, muss sich nicht wundern, wenn sich andere gegen ihn verbrüdern. Individualität bedeutet Feinde. Das ist nichts Schlechtes, nicht immer. In dieser Situation ist es sehr offenkundig ein Nachteil, das stimmt. Aber kein unerwarteter. Du wusstest, was du tust.«
Neél stapfte in kurzen, hektischen Schritten vor mir auf und ab. Er suchte nach Worten, nach Argumenten, nach einem Weg, Cloud zu überzeugen. Aber er war ebenso gefangen wie ich. Das, was er suchte, gab es nicht.
»Es ist nicht erlaubt!«, rief er. Im Gegensatz zu unserem ersten gemeinsamen Besuch hier versuchte er heute erst gar nicht, Clouds überlegene Ruhe zu imitieren. »Die Triade verbietet derartige Beeinflussung des Spiels.«
»Dann hast du Beweise?« Clouds Blick brannte sich in Neéls, während er einen Schluck trank. »Oder einen Zeugen?«
Neél sah zu Boden.
»Was erwartest du von mir? Glaubst du wirklich, ich gehe zu den Präsidenten, melde einen Verstoß ohne jeglichen Beweis und stehe dann da wie ein Anfänger? Du solltest mich besser kennen.«
In Neéls Augen loderte ein anthrazitfarbenes Feuer auf.
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