dark canopy
fragte er. Seine Lippen spielten an meiner Ohrmuschel. »Du bist so still.«
Mit geschlossenen Augen genoss ich seine Zärtlichkeiten. Gefühle wie diese waren es wert, sich noch ganz andere Dinge zu verkneifen. »Ich sinniere über meine neu entdeckte romantische Ader«, antwortete ich gähnend.
»So was hast du?«
»Ich fürchte schon. Kann man etwas dagegen tun?«
»Wohl kaum.« Er streckte seinen Arm aus und griff in eine Nische zwischen Matratze und Bettgestell. Er zog etwas hervor und hielt es mir unter die Nase. Ich musste blinzeln, mir den Schlaf aus den Augen reiben und seine Hand ein Stück zurückschieben, um etwas erkennen zu können.
»Ich fürchte sogar, dass es ansteckend ist«, sagte Neél leise.
Als ich erkannte, was er in der Hand hielt, schlug mein Herz plötzlich so heftig, wie es das eigentlich nur tat, wenn er mich küsste. Er hatte zwei Stücke durchsichtigen Kunststoff mit winzigen Nadelstichen aneinandergenäht, sodass eine kleine, flache Tasche entstanden war, etwa im gleichen Format wie der Pass, den ich gefunden hatte. Darin steckte eine sorgfältig gepresste Blume in zartem Lila.
»Eine wilde Malve«, flüsterte ich andächtig. So präpariert, dass sie nicht kaputtging, selbst wenn ich ungeschickt damit umging. Mir fehlten die Worte. Ich wusste nicht recht, wo ich das gehauchte »Danke« hernahm, so sehr rührte mich das kleine Geschenk.
»Du kannst sie bei dir tragen und notfalls leicht verstecken«, sagte Neél. Ich hörte den ernsten Unterton in seiner Stimme. Natürlich, er meinte die Zeit nach dem Chivvy. Ich würde sie verstecken müssen, wenn ich zu meinen Leuten zurückkehrte. Wie sollte ich den Rebellen sonst erklären, dass es ein Percent gewesen war, der mir die Blume geschenkt hatte. Dass es ein Percent war, den ich liebte? All das war dann vorbei. Ob es richtig war, ein Andenken zu behalten? Würde es nicht bloß wehtun?
»Vergessen wäre leichter«, murmelte ich. »Leichter für uns beide.«
»Das weiß ich zu verhindern«, sagte er und sah mir tief in die Augen. »Du willst gehen und das akzeptiere ich. Aber leicht mache ich es dir sicher nicht. Weißt du noch, Joy? Ich bin einer von den Bösen. Ich muss nicht fair sein.«
Er kämpfte noch immer. Ich zog ihm die Decke weg und hüllte mich darin ein.
Neél sprang aus dem Bett und lächelte mich breit an. »Nein, Liebes, leichte Wege sind nicht mein Ding. Und deins erst recht nicht.«
Draußen schien die Sonne und auch wenn ihre Strahlen nicht direkt ins Zimmer fielen, sondern sich gleißend in den Pfützen brachen, als flösse pures Gold über die Straßen, tauchte ihr Licht Neéls nackte Haut in ein sanftes Schimmern. Fasziniert sah ich ihm dabei zu, wie er in Hose, Hemd und seine Weste schlüpfte und mir zwischendurch immer wieder diese zuversichtlichen Blicke zuwarf.
Wozu brauchst du die Sonne?, ging es mir durch den Kopf. Hell und warm ist er auch. Und wenn seine Augen auch die Farbe haben wie der Himmel, den Dark Canopy erschafft, so ist er zumindest nicht so weit weg.
• • •
Später machten wir uns auf den Weg zum Training. Es war ein ausgesprochen schöner Tag, einer von denen, die sich von einer bleigrauen Kuppel aus Wolken nicht entmutigen lassen. Die Sommerwärme wurde von frischem Wind gemildert, der vom Meer kam und trotz Staub noch ein wenig nach Salz und trockenem Tang roch. In dem Armenviertel, das wir auf dem Weg zum Stadttor durchquerten, zogen Kinder Himmel-und-Hölle-Kästchen in den Dreck und hüpften darin herum. Doch sobald wir näher kamen, riefen die Frauen sie rasch zu sich. Neél ging mit gesenktem Kopf an ihnen vorbei.
»Glauben die denn, du würdest ihre Kinder fressen?«, fragte ich ihn leise.
»Hast du das denn nicht auch einmal geglaubt?« Er ließ mich nicht antworten, sondern sah mich scharf an. »Gerüchte haben oft einen wahren Hintergrund, Joy.«
Spielerisch knuffte ich ihn in den Bauch. »Stimmt, manchmal könnte man meinen, du würdest mich auffressen wollen.«
Zu meiner Erleichterung lachte er und wies auf die kleine Narbe, die meine Zähne an seinem Kiefer hinterlassen hatten. »Das sagt die Richtige.«
Ich grinste ihn an, denn mir lag schon eine passende Antwort auf der Zunge. Doch mit einem Schlag verging mir das Scherzen.
Auf einer niedrigen Treppe, die zu einem Haus führte, saß jemand, den ich kannte. Jemand, den ich eine lange Zeit besser gekannt hatte als mich selbst. Jemand, den ich einmal geglaubt hatte zu lieben.
Matthial.
Ich spürte, wie mir
Weitere Kostenlose Bücher