dark canopy
...?«
»Natürlich. Das muss alles sehr schwer für dich sein.« Sie lächelte mitfühlend und nahm am Schreibtisch Platz. Ich wusste nicht, wohin mit mir. Mina wies auf das Bett, aber ich wollte mich nicht setzen, auch wenn ich spürte, dass ich unhöflich zu ihr war. Konnte ich ihr vertrauen? Wenn sie einen Varlet befehligte, sollte ich sie vermutlich mehr fürchten als ihn. Mein Blick schweifte zum Fenster. Gitterstäbe, auch hier. Dahinter der stahlgraue Himmel.
Kordeln und Nadeln nützten mir nichts. Es gab kein Entkommen.
Ich hatte Mühe zu stehen und lehnte mich mit dem Rücken an die Wand. »Wo bin ich?«
»Im alten Gefängnis«, antwortete Mina. »Die Varlets leben hier in den letzten beiden Jahren, bevor sie in den Kriegerstatus übertreten. Neél ist einer von ihnen. Es ist sein letztes Jahr vor der Kriegerweihe, die im Herbst stattfindet.«
»Nach dem Chivvy«, flüsterte ich.
»Dann hat er es dir schon gesagt?«
Ich sah auf. »Was meinst du?«
Sie schüttelte den Kopf und rieb mit der einen Hand über die Finger der anderen. Ihre Hände sahen weich aus, was mich misstrauisch machte. Die meisten Frauen hatten schwielige, raue Hände. Sie schien nicht viel zu arbeiten.
»Neél muss dir das erklären. Es ist seine Aufgabe, die darf ich ihm nicht abnehmen.«
»Aber du kannst mir sagen, warum ich hier bin.«
Sie seufzte. »Ich würde gerne. Aber du musst wirklich auf Neél warten.«
»Sie haben tatsächlich Namen?« Im gleichen Moment fand ich die Frage albern. Ich hatte ganz andere Probleme, aber nach diesen zu fragen, hätte Antworten nach sich gezogen, für die ich mich nicht stark genug fühlte.
»Natürlich«, erwiderte sie. Sie lächelte noch, aber irgendetwas Bitteres lag in ihrer Stimme. »Die Zeiten, in der sie Nummern hatten statt Namen, sind lange her. Jedes neu geschaffene Kind bekommt einen Namen. Sie wählen diese Namen aus Büchern, die sie in den Bibliotheken finden, und nachdem sie ein Kind benannt haben, verbrennen sie das Buch, aus dem sein Name stammt.«
Ich runzelte die Stirn.
»Es ist ein Symbol«, fuhr Mina fort. »Ein Ritual, das für Einzigartigkeit steht.«
»Sie verbrennen unsere Geschichte, unser Wissen - für ein Ritual?«
Das Mitgefühl in Minas Gesicht blieb bestehen, aber die Freundlichkeit verschob sich in eine Richtung, die mir nicht behagte. »Geschichte ist Vergangenheit und die muss ruhen. Sterben und in Frieden ruhen.«
Ich sagte nichts, starrte nur auf meine Schuhe, deren Leder vor Nässe und Fett fast schwarz war. Zu widersprechen wäre ungeschickt. Mina war ein Mensch, eine Frau, und damit zumindest ein Hoffnungsschimmer. Auf meinen trockenen Lippen brannte die Frage, wer sie war. Aber ich bekam sie nicht raus. Mina war vielleicht etwas viel Schlimmeres, als ich mir vorstellen konnte. Nein. Lieber hielt ich mich an der unwahrscheinlichen Erklärung fest, sie wäre bloß eine Dienerin. Vielleicht eine Vorsteherin. Ja, das wäre möglich.
»Ich habe noch eine Frage«, wisperte ich und wartete ihr verständnisvolles Nicken ab, bevor ich weitersprach. »Komme ich hier wieder raus?«
»Oh ja, schon sehr bald«, sagte sie, aber es tröstete mich nicht im Geringsten. Ich hörte an ihrer Stimme, dass es nichts Gutes bedeutete.
9
»alles wird gut. matthial hat einen plan.«
Er hatte keinen Plan.
Die Dunkelheit war längst aus allen Ecken gekrochen und hatte das Land in Besitz genommen, als Matthial sich zum Clanhaus zurückwagte. Wahre Dunkelheit. Nacht.
Das Haus lag still und grau am Ende des Weges, jedes Fenster ein schwarzes Loch. Hoffentlich wartete niemand wach im Inneren. Die Vorstellung, irgendwer könnte genau jetzt ins Dunkel starren und Antworten verlangen, wenn Matthial sich hineinschlich, formte einen Kloß in seinem Hals, der sich nicht hinunterschlucken ließ.
Erschöpfung hemmte seine Bewegungen, machte ihn langsam und schmolz seine Aufmerksamkeit auf den winzigen Radius seiner unmittelbaren Nähe zusammen. Tranig krochen die Gedanken durch seinen Kopf. Alles war dumpf und betäubt. Selbst der Schmerz. Er schnitt nicht länger, er pochte, einem langsamen Hammer gleich, der mit jedem müden Schlag ein Stück mehr von ihm zerstörte.
Er hatte keinen Plan. Er hatte versagt. Und das war noch schmeichelhaft ausgedrückt.
Sein am Boden schleifender Bogen zog eine Linie hinter ihm her. Eine Spur. Er war sich des Fehlers bewusst, aber er hatte keine Energie mehr, etwas dagegen zu tun. Am Haus angekommen, fiel ihm seine Waffe aus der Hand. Er
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