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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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musste. Meine Schuhe waren von innen noch feucht und ich wagte es nicht, nach Strümpfen zu fragen. Mit einem Ruck zog ich die Schnürsenkel zusammen - ich war entschlossen, Stärke zu zeigen.
    »Du hast vom Chivvy gehört?«, fragte er.
    Die Menschenhetzjagd am Blutsonnentag im Herbst. Ich nickte.
    »Wir treten nur noch gegen trainierte Soldaten an. Das macht es spannender.« Sein Reptilienblick durchbohrte mich. Ich spürte es, obwohl ich auf meine Schuhe sah. »Jeder Teilnehmer trainiert einen Soldaten. Ein Varlet, der einen Soldaten zur Strecke bringt, hat sich seinen Status als Krieger verdient. Der Varlet, welcher den Soldaten trainiert hat, der als Letzter fällt, wird Hauptmann. Die Reihenfolge, in der die Soldaten fallen, entscheidet über unseren Rang. Noch Fragen?«
    Ja. Zum Beispiel, ob eine Jagd auf Menschen nicht schon pervers genug war. Offenbar nicht. Sie trieben es mit perfiden Regeln auf die Spitze. Wie Katzen, die das Spiel mit Mäusen bewusst planten.
    »Ich bin einer dieser Soldaten«, sagte ich. Es war keine Frage.
    »Du bist mein Soldat.«
    »Das heißt, wenn ich als Erste wieder eingefangen werde, endest du als Stiefelknecht.« Ich verspürte keinen Drang zu lachen, aber ich hob mit aller Kraft einen Mundwinkel.
    Er erwiderte das Grinsen nicht weniger lustlos. »Ich habe ein halbes Jahr Zeit, das zu verhindern. Gib mir deine Hand.«
    Ich zögerte nur einen Moment.
    Er packte nach mir, warf mich herum und drehte mir den Arm auf den Rücken. »Du gehorchst besser«, zischte er und schlang mir ein Seil aus dünnen, geflochtenen Lederbändern ums Handgelenk. Haut geriet dazwischen, als er die Schlinge festzog und mit einem Knoten sicherte, aber ich verkniff mir einen Schmerzlaut. Er ließ meinen Arm los, zupfte am Seil und führte mich ab.
    Ich musste nicht fragen, wohin wir gingen. Offenbar stand mir ein Training bevor. Als er mich aus dem Gebäude zog und wir sogar die Mauer hinter uns ließen, wunderte ich mich dennoch. Kalter Wind strich über mein Gesicht. Er roch nach Schnee. Der harte Klumpen in meinem Bauch, der mal mein Magen gewesen war, lockerte sich. Hier draußen hatte ich die Möglichkeit zu entkommen. Ich warf einen Blick auf die Lederschlinge, die mir die Hand abschnürte. Na ja, theoretisch konnte ich entkommen. Das Problem war der Percent am anderen Ende des Seils. Ihn anzusehen, vermied ich.
    Er führte mich verlassene Straßen entlang und obwohl ich die Gegend nicht kannte, wusste ich, dass wir Richtung Stadtrand liefen. Bis auf das Geräusch seiner schweren Schritte war es fast still. Hier und da vernahm ich Menschen, die sich von Haustür zu Haustür etwas zuriefen, und ab und an das Bellen von Hunden.
    Und dann ... das Kreischen. Ein schrilles Kreischen, erfüllt von Panik. Man hörte, dass es aus weiter Ferne kam, aber es erreichte mich, als brüllte mir jemand unmittelbar ins Ohr. Es sandte mir die herausgebrüllte Angst durch Mark und Bein und ich wusste, dass es ein Todesschrei war, noch ehe das Schreien abrupt endete. Stille senkte sich herab. Mein Genick versteifte sich, ich zog die Arme an den Körper, um das Zittern einzudämmen, aber es gelang nicht.
    Jemand war getötet worden. Ich hatte es gehört.
    Und der Percent ging weiter, als wäre nichts gewesen.
    • • •
    Die Tore im Zaun kannte ich aus einer vagen Erinnerung. Die Percents, die dort Wache hielten, hatten das Recht, erst zu schießen und dann zu fragen, wenn man zu dicht herantrat. Ich war als Kind einmal beim Fangenspielen mit meiner Schwester in die Nähe einer solchen Kate gekommen und Penny hatte es unserem Vater gepetzt. Er war bleich geworden wie jemand, der schon viele Jahre krank ist, und ich bekam meine erste und einzige Ohrfeige von ihm. Daran erinnerte ich mich glasklar. Vermutlich hatte der Schlag die Bilder von dem Tor in meinem Kopf verwackelt, denn in meiner Erinnerung sah es anders aus, da war das Tor riesig und kaum zu verfehlen. In Wahrheit sah man es kaum. Wie der Zaun war es aus gerahmtem Maschendraht und wäre nicht aufgefallen, stünde nicht eine winzige Hütte neben dem Durchgang. Darin saßen die Wachen. Während wir näher gingen, fragte ich mich, ob sie darin Karten spielten oder alte Bücher lasen oder was man sonst so tut, wenn man nichts zu tun hat, außer für den Ernstfall anwesend zu sein.
    Ich erfuhr es nicht, denn beide Percents traten uns entgegen und durchs Fenster konnte ich nichts erkennen, weil es im Inneren der Hütte dunkler war als draußen. Neél grüßte die

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