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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Wachen mit einem Kopfnicken, das sie erwiderten.
    »Passierschein«, forderte der eine, während der andere das Kinn hob wie jemand, der sein Gegenüber nervös machen will.
    Ich hatte den Eindruck, dass es ihm gelang, denn Neél - der keine Geste mehr machte als unbedingt notwendig, als wären seine Bewegungen streng rationiert - klopfte seine Taschen ab und murmelte: »Moment bitte.« Unter dem steinernen Blick der Wachen zog er schließlich eine Karte hervor und reichte sie einem der Wachmänner.
    Der kontrollierte sie, zog die Augenbrauen hoch und warf mir einen Blick zu, der beinahe erstaunt schien. Er zeigte seinem Kollegen die Karte, dann erhielt Neél sie zurück. »Du darfst passieren. Die Tore schließen bei Dämmerung, danach öffnet hier keiner mehr. Wer dann noch draußen ist, gilt als vogelfrei und wird erschossen. Verstanden?«
    Neél schien nicht einmal erschrocken, er stimmte einsilbig zu.
    Der zweite Wachmann, der bisher nichts gesagt hatte, öffnete zwei Schlösser, die das Tor in Knie- und Augenhöhe mittels Eisenketten sicherten. Er versetzte dem Rahmen einen leichten Tritt und Neél stieß mich vor sich her durch das Tor aus der Stadt hinaus.
    Ich war draußen. Draußen!
    »Viel Erfolg«, sagte der Wachmann und Neél stieß zur Antwort kurz den Atem durch die Nase aus, als wäre er beleidigt worden.
    Ich sah sehnsuchtsvoll zum Wald, der sich in einem knappen halben Kilometer hinter brachliegenden Wiesen zu erkennen gab. Das war noch nicht unser Clanrevier, noch lange nicht. Möglicherweise zählte es zum Bereich, den Jamie und seine Leute ihr Eigen nannten. Wahrscheinlicher war es, dass es sich um Niemandsland handelte. Eindeutig gefährlich, das war Wald immer und Niemandsland ganz besonders, aber mich lockte er mit tausend Wisperstimmen zu sich, um mich schützend in seine Mitte zu nehmen. Im schlimmsten Fall würde ich in ihm umkommen. Das machte mir keine Angst.
    Der Varlet führte mich allerdings nicht zum Wald. Wir gingen am Zaun entlang, über einen Hügel, bis wir die Wächterhütte nicht mehr sehen konnten. Zu meiner Rechten lag nun Bomberland; man erkannte noch die Überreste einiger Häuser, viel zu wenig, um sie Ruinen zu nennen. Steinleichenfetzen traf es eher. Links, hinter dem Zaun, befanden sich Wohnhäuser. Der Duft von Gerstensuppe wehte zu mir herüber und trug Erinnerungen mit sich. Ich konnte nicht anders, ich musste hinsehen. Die Häuser waren alt, teilweise verfallen und sahen aus wie schimmelnde, bröckelige Käsestücke. Graue Wäsche hing auf Leinen zwischen den Außenwänden. Eine Mutter zog ihr Kind ins Haus, als sie den Percent erblickte. All das erinnerte mich an die Zeit, in der ich selbst eine Städterin gewesen war, eine sehr kleine Städterin, und mit einer kaputten Wäscheklammer zum ersten Mal meinen Namen in den Sand schrieb. Damals hatte ich oft am Fenster gestanden und die gefährliche Welt aus der vermeintlichen Sicherheit unseres Schlafzimmers betrachtet, wo mir nichts und niemand etwas tun konnte. Dachte ich. Wie naiv ich gewesen war.
    Ich versuchte, Augen hinter den schmutzigen Scheiben zu entdecken, aber ich sah nichts.
    Der Percent blieb stehen und drehte sich zu mir um, die Miene hart. Ich fand, dass er steinern aussah, aber das war nicht treffend, wenn hinter uns Steine in Stücke brachen und zerfielen. Bei ihm zerfiel nichts. Er drückte mir das Ende des Seils in die freie Hand.
    »Lauf.«
    »Was?«
    »Du sollst laufen.«
    Ich stand ganz still. Das meinte er nicht ernst. Er ließ mich gehen? Mein Herz zögerte weniger lange als ich, es raste los, so stark, dass ich es bis in die Fingerspitzen spürte.
    »Lauf!.«
    Und ich lief.
    Ich rannte, so schnell ich konnte. Mein Pulsschlag trieb mich an und meine Sohlen prasselten nur so über den steinigen Untergrund. Ich sprang über Geröll, schlug Haken um größere Steinbrocken. Ein paar winzige Schneeflocken fielen vom Himmel und schmolzen auf meinem heißen Gesicht. Ich lief auf den Wald zu, auf den Ort, der mir allen Gefahren zum Trotz eine Chance geben würde. Bald keuchte ich, aber ich zog das Tempo noch an. Ich war schnell, die schnellste Läuferin im Clan. Meine Beine wurden schwer - aber das zeigte nur, dass sich die Muskeln verhärteten und stärker wurden.
    Ich war frei! Ich rannte! Ich wusste, dass ich ewig rennen konnte.
    Ich ahnte seine Gestalt mehr, als dass ich sie sah. Ein Schatten, ein kurzes Flackern am Rande meines Bewusstseins. Da warf er mich auch schon zu Boden. Ich stürzte. Meine

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