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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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beiden Sonnenstunden führte er mich am frühen Vormittag an dieser grässlichen Lederleine aus der Stadt, um mich der Folter zu unterziehen, die er Training nannte. Meine Hoffnungen, in den Wald zu entkommen, waren glitzernde Silberfische: Kaum totzukriegen, und wenn es doch gelang, tauchten wie aus dem Nichts neue auf. Sobald ich glaubte, beim nächsten Versuch zu kollabieren, brachte er mich zurück in die Stadt. Ich musste duschen und bekam in meiner Zelle zu essen (weniger als am ersten Tag, aber mehr, als ich brauchte, und genug, um etwas für den Abend und den nächsten Morgen zu verstecken). Später kam Mina und der Percent ging fort. Ich erfuhr nicht, wohin er verschwand, aber ich merkte, dass Mina sein Weggehen nicht behagte. Sie schimpfte und zeterte, weil sie in seiner Abwesenheit auf mich aufpassen musste, wozu sie angeblich weder Lust noch Zeit hatte. Da stimmte etwas nicht. Mina saß gerne mit mir zusammen, das spürte ich doch. Sie versorgte meine Wunden, die schneller heilten, als ich es glauben konnte.
    Mina verfügte über ein kolossales Wissen an Heilpflanzen, zu denen sie auch jederzeit Zugriff zu haben schien. Ob es eine Apotheke im Haus gab? Es musste so sein, ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie kommen und gehen durfte, wie es ihr beliebte. Während wir nähten, Strümpfe stopften oder Wäsche im Waschbecken wuschen, unterhielten wir uns. Die Themen waren unpersönlich, geradewegs banal, und beide gaben wir unser Bestes, damit das so blieb. Doch die Stimmung war gelöst und ich hatte den Eindruck, dass Mina meine Gesellschaft genoss. Warum versuchte sie, die Situation zu verändern? Ich wurde nicht schlau aus ihr und stellte mich nur zögerlich dem Gedanken, unsere stillschweigend abgesteckten Grenzen überschreiten zu müssen, um mehr über sie zu erfahren. Was, wenn sie nicht wiederkam, sobald ich zu forsch wurde und sie vielleicht unabsichtlich verletzte?
    Mina verließ mich immer gegen Abend und sperrte die Tür hinter sich ab. Jedes Mal beschloss ich, wach zu bleiben. Ich wusste, dass der Percent irgendwann spätnachts zurückkehrte, und zu wissen, dass er den Raum betrat, während ich hilflos schlief, verursachte mir Magenkrämpfe. Aber aufgrund des harten Trainings war ich so erschöpft, dass ich trotz der Angst einschlief und meist erst am Morgen erwachte.
    Nur einmal war ich aufgewacht, als er tief in der Nacht zurückkam. Später wusste ich nicht mehr, in welcher Nacht es gewesen war. Ehrlich gesagt, fragte ich mich sogar, ob ich das Aufwachen vielleicht nur geträumt hatte. Die Müdigkeit war so überwältigend, dass ich nicht mehr unterscheiden konnte, was wahr war und was Traum. Der Percent schwankte, als er seine Schuhe auszog, stieß sich das Schienbein an der Kiste neben seinem Bett und fluchte mit zusammengebissenen Zähnen unverständliche Worte. Ich gab vor zu schlafen und umklammerte die Nadel, die ich am Nachmittag unbemerkt eingesteckt hatte. Der Percent zog sich aus - komplett, ich sah die flache Linie, in der sein Rücken in den Hintern überging, und stellte fest, dass seine Haut am ganzen Körper diesen weichbraunen Farbton hatte. Er wusch sein Gesicht, trank in tiefen Zügen Wasser aus der Leitung und setzte sich dann aufrecht auf sein Bett. Ich hörte Papier rascheln und eine Feder kratzen und fragte mich, was er um diese Uhrzeit wohl aufschrieb. Vielleicht hätte ich nachgesehen, wenn es möglich gewesen wäre, aber er verstaute all sein Schreibzeug immer gewissenhaft in einer Ledertasche und nahm diese mit sich, wenn er ohne mich loszog. Im Dunkeln schmiedete ich Pläne, die von seinem Blut und meiner Nadel handelten.
    Als er fertig war, sah er zu mir rüber. Ich presste die Lider zusammen, aber vermutlich hatte er das Weiße meiner Augen trotzdem registriert. Ich blickte vorsichtig wieder auf und sah, wie er ein Stofftaschentuch aß und sich dann hinlegte.
    Moment ... er aß ein Taschentuch?
    Es waren viele Gerüchte über sie im Umlauf, aber das hatte ich noch nie gehört. Ich war aber sicher, es deutlich gesehen zu haben. Vielleicht träumte ich ja doch?
    • • •
    Am nächsten Tag bemerkte Mina, dass ich die Nadel genommen hatte. Ich musste sie zurückgeben und sie redete eine Weile kein Wort mehr mit mir.
    • • •
    Der heutige Tag unterschied sich von den anderen, das spürte ich schon beim Aufwachen. Es war heller als sonst, obwohl in den beiden Morgenstunden, in denen Dark Canopy abgeschaltet blieb, keine Sonne schien, da Wolken am Himmel

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