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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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hingen. Schnee lag wie ein Mantel über der Stadt und fiel in dichten Flocken, sodass man kaum über den Gefängnishof schauen konnte.
    Es schneite noch heftiger, als wir später zum Training gingen. Die Schneedecke war so dicht, dass ich knöcheltief einsank. Meine Hose hatte sich bis zu den Knien vollgesogen, noch ehe wir die Straße erreichten, in der ich schon öfter diese schrecklichen Todesschreie gehört hatte. Doch heute bog der Percent in eine andere Richtung ab. Ich registrierte unbehaglich, dass es eine Sackgasse war; ein schmaler Streifen Weg zwischen massivem Mauerwerk, das auch den letzten Rest Licht schluckte. Nur hauchfein bedeckte der Schnee hier den Boden, als hätten selbst die Flocken Furcht im Dunkeln. Was mich am meisten schaudern ließ, war der Wind. Er hatte uns die ganze Zeit stürmisch Flocken ins Gesicht geweht und eisig in meinen Augen gebrannt. Nun war er fort, als wagte er sich nicht bis in die Gasse vor. Ich hörte ihn in der Ferne heulen und pfeifen. Es klang wie die geheimen Signale, mit denen sich meine Freunde und ich früher verständigt hatten. Diesmal verstand ich die Signale nicht und das schürte eine Angst in mir, die ich für versiegt gehalten hatte. Vielleicht waren sie tot, tot durch mein Versagen.
    Ich fürchtete mich plötzlich wieder vor Gespenstern.
    Der Percent hielt an einer Holztür, die so sorgsam poliert war, dass sie seine Umrisse trotz der Dunkelheit sacht widerspiegelte. Er sah mich eine Weile durchdringend an. Wie jemand, der Angst haben sollte, es aber verbergen kann. Er schluckte, dann bollerte er gegen die Tür. Eilige Schritte erklangen, die Tür wurde geöffnet und quietschte dabei. Erst als Neél an der Leine zog und mich damit näher an sich heranzwang, als ich ihm je kommen wollte, erkannte ich, wer aufgemacht hatte.
    »Mina«, sagte ich verwundert und kassierte einen Ruck am Seil für meine Unhöflichkeit. Ich senkte den Blick, mehr um mein Augenrollen zu verbergen denn als respektvolle Geste. »Guten Tag, Mina.«
    »Die Sterne mögen dir scheinen«, antwortete sie in freundlichem Ton. Sie klang beinahe verschmitzt und dass sie den abgeänderten Rebellengruß Die Sonne möge dir scheinen! verwendet hatte, ließ mir heißes Blut in die Wangen steigen. Was wusste sie über mich? Und entscheidender: Was wollte sie von mir? Alles in mir straffte sich, als zöge eine höhere Macht meine Haut glatt wie ein Tischtuch. Konnte es sein, dass sie mir nun die Fragen stellen wollte, vor denen ich mich schon lange fürchtete?
    Nein. Wenn sie glaubten, ich würde Verrat begehen, hatten sie sich geirrt. Niemals!
    Mina wies mich an, ihr zu folgen, und der Percent versetzte mir einen Stoß, weil ich nicht sofort gehorchte. Angst hin oder her, aber er begann, mir auf die Nerven zu gehen. Ich verbiss mir einen Kommentar, funkelte ihn nur wütend an und ging ins Haus.
    Wärme umfing mich schon nach den ersten Schritten. Wer auch immer hier wohnte - womöglich mit Mina zusammen? -, er heizte wohlig. Unweigerlich musste ich an den Tag denken, als wir in die Falle gelockt wurden und sie Amber gefangen nahmen. Auch die Schneiderfamilie - oh, wie wünschte ich ihnen die Pest an den Hals! - hatte es behaglich warm gehabt. Ich sah mich misstrauisch um. An einem Haken in der Wand hing ein UV-Schutzanzug. Demnach wohnte hier ein Percent. Ich musste achtsam bleiben.
    Mina führte uns ins Wohnzimmer. Das Erste, was ich wahrnahm, waren die Gemälde, die weinende Menschen mit bunt bemalten Gesichtern zeigten. Ich hatte selten etwas Hässlicheres gesehen, aber das behielt ich für mich, denn wer wusste schon, was diese Fratzen darstellten und wem sie etwas bedeuteten. Und dann blieb mir plötzlich die Luft weg. Denn in einem Sessel unter einer geschmacklosen bunten Fratze saß aufrecht und mit kaltem Blick der furchterregende Percent Cloud.
    Sein Anblick traf mich unerwartet und hart. Ich hatte natürlich damit rechnen müssen, ihn wiederzusehen, schließlich hatte er mich als Beute für sich beansprucht. Doch der Teil in mir, der beharrlich versuchte, mich davor zu bewahren, vor lauter Angst hysterisch zu werden, hatte ihn ausgeblendet und aus meinem Sinn getilgt. Bis jetzt.
    Der Schnee schmolz und fiel in Klumpen von meiner Kleidung. Um meine Füße bildete sich eine Pfütze. Meine Hände schwitzten. Der Percent sah mich an. Ich fror.
    »Du bist pünktlich«, sagte Cloud, ohne den Blick von mir zu nehmen.
    Neél erwiderte kühl: »Das ist selbstverständlich, wenn du mich

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