dark canopy
wie immer, nur ein wenig verhaltener. Josh war lange vor ihm zurückgekommen und hatte längst Bericht erstattet. Niemand sprach mehr über das gescheiterte Rettungskommando. Aber alle schulterten die Konsequenzen. Es wurde zusammengepackt, was sich tragen ließ. Das Coca-Cola-Haus war nicht mehr sicher. Man hatte darauf vertrauen können, dass Amber den Clan nicht verriet, doch nun gab es zu viele Gefangene, das Risiko multiplizierte sich mit dem Faktor acht. Acht. Acht Menschen mehr in ihren Klauen. Niemand wusste, ob diese acht noch lebten, acht lebende Gefangene, das war der letzte Stand. Möglicherweise waren es inzwischen acht Leichen. Möglicherweise acht Verräter. Matthial erschien Ersteres als das Schlimmere, aber er wusste, dass sein Vater das anders empfand. Er ging Mars aus dem Weg. Niemand wusste, was er getan hatte - dass er Will, einen der acht, geopfert hatte, um Joy zu retten -, aber er fürchtete, Mars könnte es von seinen Augen ablesen.
Die anderen ließen ihn in Ruhe, fragten nicht und spielten ihm nichts vor. Die wenigen, die ihm im Stillen einen Vorwurf machten, verließen den Raum, wenn er eintrat. Er war ihnen dankbar für ihre Ehrlichkeit und ging zurück in seine Kammer. Jemand hatte seine Blutspuren vom Fenstersims gewaschen, stellte Matthial auf dem Weg fest. Jemand, der sich nicht zu erkennen gab.
Er erwischte sich dabei, wie er Kleidung in seinen Rucksack warf. Was machte er da? Was ließ ihn denken, er würde noch dazugehören, zum Clan, der sich berechtigterweise in Sicherheit brachte? Er kippte den Rucksack wieder aus. Unterhosen und Socken fielen auf die Matratze. Matthial setzte sich inmitten seines Krempels, kraulte seinen Hund unterm Kinn und schämte sich für sein Versagen, für seine Taten und am meisten für sein Elend. Er hatte kein Recht, sich schlecht zu fühlen. Eigentlich hatte er nicht einmal mehr das Recht, noch am Leben zu sein. In der Nacht hätte es nur einen Schritt gebraucht, um die Schuld zu tilgen. Einen Schritt nach vorn, vom Dach. Vielleicht hätte ihm der Sturz das Rückgrat gebrochen, vielleicht wäre auch er nun einer in den Reihen der Gefangenen. In jedem Fall wäre er nicht der, auf dem alle Schuld lastete. Fast hätte er den Schritt getan - er war so nah dran gewesen.
Aufgehalten hatte ihn ein einziger Gedanke: Ich muss sie retten. Ich brauche einen Plan.
Jetzt verhöhnte ihn dieser Gedanke. Es gab keine Pläne mehr. Der Teil von ihm, der Pläne gesponnen hatte, dieser feige Mistkerl, war scheinbar doch gesprungen.
• • •
Josh klopfte am Abend und steckte den Kopf durch die Tür. Rick, den Matthial zuvor hinausgelassen hatte, drückte sich durch den engen Spalt und rollte sich auf der Matratze zusammen.
»Hey.«
»Selber, hey.« Matthial zwang sich zu einem Lächeln.
»Es ist Zeit, da rauszukommen. Du hast den ganzen Tag nichts gegessen, nichts getrunken, du warst nicht einmal auf dem Klo, oder?«
»Ich wollte noch warten.«
Josh schloss die Tür hinter sich. »Worauf?«
Matthial bemerkte, wie dunkel es in seiner Kammer geworden war. Das war ihm bisher nicht aufgefallen. »Bis ihr weg seid.«
Sein Bruder nickte langsam. »Dann kommst du wirklich nicht mit. Ich hatte es befürchtet.«
»Es geht nicht. Ich muss -«
»Das geht nicht«, unterbrach ihn Josh. Er nahm wohl an, Matthial hatte sagen wollen, er müsse Joy retten. Josh setzte eindeutig zu großes Vertrauen in ihn.
Sie schwiegen eine Weile.
»Mars will dich sprechen«, sagte Josh schließlich leise.
»Und das hatte ich befürchtet.«
»Tust du mir einen Gefallen? Tritt ihm nicht wie ein verrottender Lumpen vor die Augen. Zeig ein bisschen Stärke. Tu wenigstens so.«
»Was soll das bringen?«
Josh atmete tief durch, es war fast ein Seufzen. »Ich bin mit euch gegangen, oder nicht? Ich dachte, ich würde das Richtige tun. Nun, das denke ich immer noch. Ich will nicht, dass Mars ... dass Vater denkt, ich folge einem Mann, der nicht stärker ist als ein nasser Lappen.«
Matthial sah auf. Schemenhaft erkannte er in der Dunkelheit Joshs Gesicht. »Das hast du aber getan.«
»Nein. Wir hatten bloß Pech. Der Plan war gut.«
»Ein Plan ist gut, wenn er aufgeht. Nur dann.«
»Mach einen neuen«, sagte Josh und erhob sich. Er öffnete die Tür, seine Umrisse erschienen vor einem Rechteck aus milchigem Licht. »Häng nicht durch. Ich bin nämlich noch hier. Bei dir. Ich bleibe.«
Damit ging er.
• • •
Matthial hatte geglaubt, sich zusammenzureißen und Stärke
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