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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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ihn und hätte gern den Atem angehalten, so bitter wurde die Luft davon. Unter jeder seiner Bewegungen zuckte ich beinahe zusammen.
    Es hatte einen Kampf gegeben. Verletzte, vermutlich Tote.
    Ich konnte bloß an eine Person denken. Matthial.
    Ich zwang mich, ruhig zu atmen, und öffnete die Augen nur einen Spalt, sobald er mir den Rücken zuwandte. Vollmondlicht fiel durch das Fenster und beleuchtete dunkelrote Flecken auf Neéls Händen und schwarze auf seiner Kleidung. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich, Dark Canopy würde auch den Mond verdunkeln. Das war Menschenblut. Ich wollte es nicht sehen.
    Er trat zum Waschbecken und wusch sich Gesicht und Oberkörper. Wasserrinnsale flossen auf den Boden. Er machte sich nicht die Mühe, sich abzutrocknen, sondern stapfte zu seiner Pritsche, schoss mir einen vernichtenden Blick zu und warf sich ins Bett. Normalerweise schlief er gerade ausgestreckt, das Gesicht zur Decke gerichtet, so wie Leichen zum Abschiednehmen auf Tischen aufgebahrt werden, ehe man sie in Tanks bettet und verbrennt. Heute drehte er mir den gekrümmten Rücken zu.
    Wen hatte er getötet?
    Die Frage lag mir noch Stunden auf der Zunge, aber ich stellte sie nicht, weil ich fürchtete, die Antwort nicht zu ertragen.
    • • •
    Ich musste nichts sagen. Neél nahm mein Training am nächsten Tag wieder auf.
    »Erspar uns unnötige Kämpfe«, sagte er zu mir. »Lauf.«
    War ich schnell genug, um ihn zufriedenzustellen, schlug er mich lediglich an der Schulter ab, statt mich in den getauten und wieder gefrorenen Schnee zu werfen. War ich langsam, flog ich gegen die scharfkantigen Eiskrusten.
    Von nun an tat Neél, wie man ihm befohlen hatte, und nahm mich in den folgenden zwei Wochen dreimal täglich mit nach draußen. Auf unser übliches Fluchttraining am Stadtrand folgte am Nachmittag ein Ausdauermarsch durch den Wald. Er sprach dabei nicht, erlaubte mir aber, mich ein paar Meter zu entfernen, um die Gegend zu erkunden. Am Abend, kurz nach dem Essen, trabte er mit mir durch die Stadt.
    Ich fragte Neél, was er sich davon versprach - Lauf- und Ausdauertraining bekam ich wahrlich schon genug -, aber er meinte nur, ich würde es bald verstehen. Ich lief, bis meine Füße erst Schwielen und Blasen bekamen, dann aus rohem Fleisch zu bestehen schienen und schließlich verhornten.
    Und dann sah ich während einem dieser Stadtläufe durch den Regen jemanden, den ich in der Erschöpfung der letzten Wochen zu oft vergessen hatte.
    Amber.
    Zuerst bemerkte ich nur sie, ihre geröteten Wangen, die tiefen Ringe unter ihren Augen, ihr strähniges Haar, die schmutzbesudelten Kleider. Amber lebte! Sie trug einen Weidenkorb, der so schwer schien, dass ihr Körper sich zur Seite neigte. War sie eine Städterin geworden?
    Bevor ich ihren Namen rufen konnte, fiel mein Blick auf den Percent, der zwei Meter vor ihr ging und sich nun umwandte, um ihr etwas zuzublaffen. Da begriff ich. Sie war seine Dienerin. Ohne es zu merken, war ich stehen geblieben. Neél sagte auffordernd meinen Namen, dann folgte er meinem Blick.
    »Widden!«, rief er dem anderen Percent zu, packte mich an der Schulter und zog mich über die Straße, nachdem ein Fuhrwerk vorbeigerattert war. Er begrüßte den anderen mit einem spielerischen Schlag gegen die Schulter. »Widden, gut dich zu sehen, Mann.«
    »Ganz meinerseits, Neél. Wie geht es dir, warum lässt du dich kaum noch bei den Nachtjagden sehen?«
    Offensichtlich freuten beide sich über das zufällige Zusammentreffen, sie drehten uns die Rücken zu und begannen eine Unterhaltung, von der ich kaum ein Wort verstand. Der Regen rauschte zu laut und in meinen Ohren rauschte das Blut, so aufgeregt war ich, Amber zu sehen.
    »Du lebst«, flüsterte ich.
    Sie starrte auf meine Schuhe, bewegte nur zaghaft den Kopf, ohne den Blick zu heben, als erwartete sie eine Strafe, sobald sie jemanden ansah. Ihre knochigen Schultern bebten, so schwer war der Korb, aber sie stellte ihn nicht auf dem nassen Asphalt ab.
    »Es ist nicht wegen mir, oder?«, fragte sie. Ich hörte ihre Stimme kaum, so leise sprach sie.
    Sie so zu sehen, zerriss mir das Herz und meine Euphorie stürzte in sich zusammen. »Was soll wegen dir sein? Was meinst du?«
    Ich hätte meine linke Hand gegeben, um sie zu umarmen, aber ich wagte nicht, die Percents sehen zu lassen, wie nah wir uns standen.
    »Ist es meine Schuld, dass sie dich gefangen genommen haben? Ich habe Gerüchte gehört. Sind sie wahr? Habt ihr versucht, mich zu

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