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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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freundlichem Spott in der Stimme. »Los, zeig her! Wo haben sie dich gestern gefoltert?« Er warf mir einen knappen Blick zu, als wollte er mir irgendetwas sagen. Ich sah zu Boden. Ich hatte kein Interesse, einen wund gepeitschten Rücken anzusehen oder was Percents sonst so unter Folter verstanden.
    Aber weder lupfte der Jüngere sein ärmelloses Hemd noch drehte er sich um. Neugierig blickte ich auf und sah ihn grinsen. Sehr breit - mit einer enormen Zahnlücke dort, wo eigentlich die Schneidezähne hingehörten.
    »Verdammt!«, stieß Neél bewundernd hervor. »Mann, kein Wunder, dass du das ganze Haus zusammengebrüllt hast. Hätten sie dich nicht bewusstlos schlagen können?«
    »Hab Gebrannten bekommen«, erwiderte der andere. Es klang, als würden ihm noch immer die Zunge und alle Zähne wehtun. »Mir dröhnt der Kopf, als wäre eine Kuh draufgetreten. Nie wieder Gebrannten.«
    »Und nie wieder Karamell, was?«
    »Du sagst es, Neél, du sagst es.«
    Die beiden klopften sich ein weiteres Mal auf die Schultern und wir gingen weiter, passierten die nächste Gittertür.
    »So, so«, sagte ich, als wir im nächsten Korridor waren. »Folter, ja?«
    »Joy, hattest du je Zahnschmerzen?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    Neél nickte bedächtig. »Wie kannst du dann anzweifeln, dass so was die reinste Folter ist?«
    Ich seufzte affektiert, aber unter meinem gespielten Kummer saß ein wenig echter. »Du hast mir mit Absicht Angst gemacht.«
    Ein paar Sekunden lang hörte man nur unsere Schritte auf dem Boden und ihren Hall, der von den Wänden zurückgeworfen wurde.
    »Ja«, sagte er dann. »Denkst du eigentlich manchmal an die Schreie, die wir hören, wenn wir zum kleinen Stadttor gehen?«
    Ich schauderte. Die Todesschreie. Ja. Ich dachte daran. »Ständig.« Meine Stimme klang sehr klein.
    Neél blieb stehen, fasste mich an den Schultern und zog mich einen Schritt näher zu sich, wie gestern in der Siedlung. »Dort lebt der Schlachter.« Er sah mich ernst an.
    Ich blinzelte und verstand nicht gleich. »Schlachter? Wen schlachtete er denn?«
    »Schweine!« Er rief es fast. »Schweine, Hühner und hin und wieder eine Kuh. Das, was du hörst, sind die Schweine.«
    Ich atmete laut aus, einen Moment lang war ich bloß erleichtert. Ich kippte sogar ein kleines Stück nach vorne und hätte mich beinahe bei ihm angelehnt. »Warum hast du das nie gesagt?«
    »Du hast nicht gefragt.«
    Ich schnaubte. »Hast du eine Ahnung, wie widerlich es sich anfühlt, jede Kleinigkeit erfragen zu müssen?«
    »Jetzt, da du es sagst«, meinte er und sah mich hilflos an, »eine vage. Aber warum?«
    »Warum? Fühlst du dich nicht lächerlich, wenn du nichts weißt und alles lernen musst wie ein Kind?« Natürlich nicht. Wieder hatte ich vergessen, dass er ein Percent war - wenn auch ein besonderer. Die Erkenntnis kam mir, wie so häufig, zu spät.
    Seine Antwort überraschte mich. »Ehrlich gesagt, gefällt es mir sogar sehr gut, Neues zu erfahren. Ich habe wohl vergessen, dass die Situation für dich eine ganz andere war. Oder ... ist.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Was meinst du damit, Neues zu erfahren? Was lernst du denn schon Neues?«
    Für einen winzigen Sekundenbruchteil sah ich etwas, das mich Neues lehrte: Ich sah Schmerz in seinen Augen. Mein abfälliger Satz hatte ihn verletzt. Er ließ mich so abrupt los, dass ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. In einer fließenden Bewegung drehte er sich um und ging weiter den Flur entlang.
    Ich folgte ihm, wollte sogar seinen Namen rufen, doch bevor ich das konnte, drehte er mir den Kopf zu und in seiner Miene war nicht der erwartete Trotz zu erkennen, sondern ein zaghaftes Grinsen.
    »Dass unsere Karten lügen und nicht alle Flüsse mit dem Kanal verbunden sind, das wusste ich nicht. Dass ein menschliches Mädchen der beste Soldat von allen sein kann, das wusste ich nicht. Dass dein Blut ... wie meins schmeckt. Auch das wusste ich nicht.« Er wandte sich ab und ging weiter.
    Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Aber er ahnte sicher, wie sehr er mich verwirrt hatte.
    Er hielt mir die schwere Eisentür auf, die in den Speiseraum führte, und ich fand mich im Fokus aller Blicke wieder. Ihnen lag etwas Eigenartiges inne. Eine stille, gefährliche Aggression. Ich sah zu Brad, er warf mir einen warnenden Blick zu.
    »Dass wir uns so ähnlich sind«, flüsterte Neél, »und dass ich dich retten will. Das wusste ich alles nicht.« Dann erst schien er meinen erschrockenen Blick zu

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