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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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sah noch die Stellen, an denen das Brecheisen angesetzt worden war. An der Fassade mussten einmal Reliefs gewesen sein, aber man hatte sie herausgeschlagen. Stattdessen wuchsen nun Schimmelmuster die Fassade empor.
    Ich wollte durch die schmale Gasse gehen, die zwischen wilden Hundsrosen und toten Haselsträuchern auf das Haus zuführten, aber wieder sträubte sich meine Stute. Ich schlang die Zügel um einen metallenen Pfeiler, der mal ein Gartentor gehalten hatte und nun sinnlos und vergessen in der Gegend herumstand. Rost rieselte, als ich das Leder festzog, und gleichzeitig rieselte es mir eiskalt den Rücken herunter. Aus den Wunden, die in dieses alte Haus geschlagen worden waren, rann Dunkelheit und irgendetwas Böses ... wie Blut. Aber ... aus Leichen rinnt kein Blut. Tote bluten nicht. Irgendetwas musste in diesen alten Mauern leben ...
    Für eine Sekunde spielte ich mit dem Gedanken umzudrehen und vorbeizugehen und tat es nur deshalb nicht, weil ich diesem Haus nicht den Rücken zukehren wollte. Also trat ich darauf zu, so wie man sich einem wilden Tier nähert. Schritt für Schritt. Langsam und so leise wie möglich. Trotzdem knirschten Steinchen unter meinen Sohlen. Hinter mir wieherte die braune Stute.
    Ich ging weiter, schlich geduckt durch den Türrahmen und das Zwielicht verlor an Farbe. Ich bedauerte es, keine zusätzlichen Augen an den Ohren und am Hinterkopf zu haben. Meine Blicke schossen hin und her, aber das Gefühl, etwas Entscheidendes zu übersehen, blieb.
    Der Flur war schmal und dunkel. Tapetenreste klebten an den Wänden, an vielen Stellen hatten Vögel und Nagetiere daran geknabbert. Mehrere Räume zweigten ab. Alle waren leer. Mit den nackten Fenstern und den hellgrauen Wänden wirkten die Räume wie skelettierte Schädel von innen. Von oben kam ein Geräusch, als würde jemand mit der Handfläche in schnellen Bewegungen eine Wand tätscheln.
    Ich hätte wieder nach draußen gehen können. In diesem Haus war nichts. Nichts, außer einem Geruch, der mir nicht gefiel.
    Es roch zu wenig nach Staub. Das machte mich neugierig.
    Ich schlich weiter und kam zum Fuß einer Treppe, die erstaunlich gut erhalten war. Das Geländer war abgerissen und Klebstoffreste und Verfärbungen auf den Stufen deuteten daraufhin, dass auf dem Stein früher etwas gelegen hatte. Ich wagte nicht daraufzutreten, aus Angst, daran festzukleben. Eng an die Wand gepresst ging ich nach oben und achtete sorgsam auf jeden meiner Schritte. Die Treppe beschrieb einen Halbkreis. In der oberen Etage gab es drei Zimmer. Ich sah in das erste - in einer Ecke lag etwas, das wie Stoff aussah. Im gleichen Moment hörte ich wieder diese tätschelnden Laute, diesmal viel lauter. Ich fuhr herum. Das Geräusch kam aus dem Nebenzimmer. Ich lehnte mich an die Wand und lugte um den Türstock.
    Ein Gurren erklang und ich erkannte zwei Tauben, die auf einem Eisenrohr nisteten. Man hatte in der hinteren Ecke des Raumes vergeblich versucht, ein Heizungsrohr aus der Wand zu reißen, wodurch ein Winkel und ein Loch in der Wand entstanden waren, in dem die Tauben ihr Nest gebaut hatten. Sie stoben auf, als ich näher kam, und ich erkannte das Geräusch wieder. Die Tauben verursachten dieses Tätscheln, wenn ihre Flügel an die Wand stießen. Ich ging zum Nest. Die beiden Vögel flatterten ein paar Runden im Raum herum und flohen dann durch das Fenster. Ich reckte mich, tastete das Nest ab und fand zwei kleine Eier. Es war reine Gewohnheit, die mich dazu brachte, sie in mein Tuch einzuwickeln und in die Jackentasche zu stecken. Hoffentlich waren sie noch nicht lange angebrütet. Im Clan war es undenkbar gewesen, etwas potenziell Essbares liegen zu lassen - ich dachte überhaupt nicht daran, dass die Percents genug Nahrungsmittel hatten, selbst für mich. Ich war zu sehr in Gedanken. Irgendetwas stimmte hier nicht.
    Als ich das Zimmer verließ und gerade wieder nach unten gehen wollte, hauchte der Wind mit einem Seufzen durch die Mauern. Aus dem dritten Raum brachte er schwarzgrauen Staub und Ascheflöckchen mit, sie flogen leicht wie schwarzer Schnee. In meinem Kopf griffen in diesem Moment drei Räder ineinander: Spuren von Feuer. Stoffreste. Ein Taubennest, aber nur wenig Kot darunter.
    Hier lebte jemand!
    Ich kam nicht dazu, in den dritten Raum zu sehen. Als ich mich dem Türstock näherte, schoss etwas daraus hervor. Etwas Hüfthohes. Mit zwei Beinen. Es rannte gebeugt. Nackte Füße mit Krallen. Das Wesen fiel mich an, bevor ich wusste, wie

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