Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
züngelten hoch. Rasch wurden sie höher und breiteten sich aus. Fasziniert und lichthungrig sogen die Menschen die wohltuende Helligkeit in sich auf. Feuer. Licht. Sie konnten sich nicht satt genug sehen. Staunend wie kleine Kinder starrten sie in die Arena. Der Widerschein des Feuers spiegelte sich in ihren Augen.
29
«Rückt eure Stühle an den Tisch, meine Kinder. Lasst uns erst einmal eine Tasse Tee trinken. Das wird eure Nerven beruhigen. Ich möchte euch eine Geschichte erzählen.» Das Mütterchen nickte den Jugendlichen freundlich zu. Zögerlich und misstrauisch, wie wilde Tiere bei ihrer ersten Begegnung mit einem Menschen, kamen die vier näher. Die Alte hob mit einem Topflappen die heiße Teekanne von der Kerze und begann, die Tassen zu füllen.
«Liovan, könntet Ihr uns den Zucker bringen? Er steht neben den Gewürzen.» Liovan brachte zuerst die Zuckerdose, und dann positionierte er sich wieder an seinem Platz. Auch die andern drei standen wieder wie Zinnsoldaten im Raum. Zwei von ihnen bewachten den Vordereingang, der dritte stand zusammen mit Liovan in unmittelbarer Nähe des Küchentisches, bereit, jederzeit einzugreifen, falls es nötig sein sollte. Es war Shonovan, derjenige, mit dem Katara im Kartoffelkeller gekämpft hatte. Das Mädchen erkannte ihn an seinem Augenbrauenring. Die Schnittwunde, die sie ihm zugefügt hatte, war seltsamerweise gänzlich verschwunden. Nicht einmal eine Narbe war auf seiner zarten, porzellanweißen Haut zurückgeblieben. Katara fand das alles ziemlich merkwürdig. Wer waren diese Burschen? Als hätte das Mütterchen ihre Gedanken gelesen, legte sie dem Mädchen die Hand auf die Schulter und verkündete:
«Shaíria birgt viele Geheimnisse, mein Kind.» Dann begann sie, die Schokoladenkekse vom Backblech zu nehmen und kreisförmig und sorgsam auf einen großen weißen Teller zu legen. «Aber jetzt wollen wir wirklich erst einmal eine Tasse Tee trinken und uns stärken. Warm schmecken die Kekse am besten. Greift zu, meine Kinder.»
Das ließ sich Ephrion natürlich nicht zweimal sagen. Er griff nach einem Keks und schob ihn sich genüsslich in den Mund. Seine Augen glänzten wie zwei kleine Sterne.
«Mmm, lecker. Ich liebe Schokoladenkekse. Meine Mutter backt die allerbesten, aber nur ganz, ganz selten, weil Schokolade so teuer ist. Doch ich muss sagen, diese Kekse schmecken ganz vorzüglich. Welche Zutaten verwendet Ihr?»
«Nur Liebe», antwortete die Alte mit einem zufriedenen Lächeln, «nichts als Liebe, mein Kind. Esst und trinkt und stärkt eure Seelen.»
Sie schob den Teller in Miros und Kataras Richtung. Die beiden waren etwas skeptisch, aber als auch Aliyah zugriff und nicht blau anlief oder gar tot vom Stuhl fiel, bedienten sie sich ebenfalls zögerlich. Die dicke schwarze Frau wischte ihre Hände an der geblümten Schürze ab und hob den Teekrug hoch.
«Tee?»
«Sehr gerne», sagte Ephrion mit vollem Mund, während er dem Mütterchen die Tasse mit der rechten Hand hinstreckte und mit der linken einen zweiten Schokolade-Zimt-Keks vom Teller klaubte.
«Die sind wirklich gut», bemerkte er schmatzend und leckte sich die Finger ab, «wenn ihr nicht zugreift, seid ihr selber schuld. Mmmm.»
Obwohl sich die anfängliche Anspannung allmählich löste, blieb dennoch ein großes Misstrauen in der Luft hängen. Bei aller Warmherzigkeit, die das Mütterchen zeigte: Wer konnte schon wissen, was sie tatsächlich im Schilde führte? Nachdem sie allen vier Teenagern und auch sich selbst eine Tasse Tee eingeschenkt hatte, ließ sie sich schwerfällig auf ihrem Stuhl nieder, stützte die Ellbogen auf den Küchentisch, faltete die Hände und sah sich in der Runde um.
«Lasst mich euch eine Geschichte erzählen», sagte sie, holte tief Luft, und dann begann sie zu sprechen:
«Vor vielen Jahren lebte auf unserer Insel eine Königin, über die in den großen Geschichtsbüchern kaum etwas berichtet wird. Sie war im Besitz eines Buches, das auf alle Fragen eine Antwort hatte und alle Geheimnisse und alle Mysterien dieser Welt enthüllen konnte. Es wurde das Buch der Prophetie genannt. Doch seine Worte waren verschlüsselt, und es gab nur wenige, die die Sprache verstanden, in der es geschrieben worden war. Wer die kostbare Gabe besaß, die rätselhaften Zeichen des Buches zu entschlüsseln, wurde Prophet genannt. Jeder Prophet trug das Wappen Shaírias als Brandmal auf seiner Haut zum sichtbaren Zeichen seiner Berufung. Im ganzen Land gab es Tempel, in denen die
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