Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
Euch durch sein Wissen nicht selbst in Gefahr bringt.»
Ephrion starrte die Frau perplex an. Er spürte, wie ihm heiß und kalt zugleich wurde. Er erinnerte sich an jenen düsteren Morgen zurück, als Großvater ihm von der Mauer und von diesem seltsamen König erzählt hatte, der sie gezwungen hatte, ihr Land zu verlassen. Er erinnerte sich nur allzu gut an den Streit, den seine Mutter danach mit Großvater in der Küche gehabt hatte. Und am meisten erinnerte er sich daran, dass dies die letzte Begegnung mit seinem Großvater gewesen war. Es wäre besser so, hatten seine Eltern ihm weismachen wollen. Er hatte nie verstanden, warum. Doch langsam begann er zu begreifen, dass viel tiefere Geheimnisse hinter dieser ganzen Geschichte verborgen lagen, als er es jemals für möglich gehalten hätte. Und offenbar wusste das Mütterchen über Dinge Bescheid, die ihm über all die Jahre hinweg von seinen eigenen Eltern verheimlicht worden waren. Aber woher weiß sie das alles? Und woher kennt sie Großvater? Und von welcher Gefahr redet sie?
«Was wollt Ihr von uns? Warum sind wir hier?»
Anstatt seine Fragen zu beantworten, deutete die Frau auf ein Holzregal, das in der Ecke an der Wand stand. «Da drüben findet Ihr kleine Teller und Tassen. Teelöffel sind in der Tisch-Schublade. Deckt den Tisch für fünf Personen.»
Ephrion war so durcheinander, dass er wie ein Gespenst zu dem Gestell stolperte. Wer ist sie?, dachte er die ganze Zeit, während er fast mechanisch begann, den Tisch zu decken. Woher weiß sie so gut über jeden von uns Bescheid? Was hat sie mit uns vor? Es kam ihm alles vor wie ein riesiges Puzzle, das er von der Rückseite betrachtete. Es ergab einfach keinen Sinn.
«Shonovan», sagte die dicke Schwarze, «wärt Ihr so gut und würdet Aliyah die Fesseln abnehmen? Ich habe eine kleine Überraschung für sie.» Während der Mann Aliyahs Fesseln löste, watschelte die Alte zu einer Tür, die in die Vorratskammer führte, öffnete sie und sagte nur ein Wort:
«Nayati!»
Ein unverkennbares Winseln ertönte, und ein großer, schneeweißer Wolf mit eisblauen Augen erschien in der Tür. Katara klammerte sich an ihrem Stuhl fest und brachte nur ein «Bei Shaíria!» zustande. Ephrion ließ beinahe das Geschirr fallen, und Miro sprang wie von der Tarantel gestochen von seinem Stuhl und wich ein paar Schritte zurück. Die Einzige, deren Gesicht sich aufhellte, war Aliyah.
«Nayati! Oh, Nayati! Komm zu mir, alter Freund!»
Der Wolf trabte auf das blinde Mädchen zu und sprang freudig bellend an ihr hoch. Aliyah lachte und weinte vor Glück. Verblüfft beobachteten die anderen Jugendlichen das unerwartete Verhalten der beiden.
«Aber …», stammelte Ephrion, «aber das ist doch ein Wolf! Er wird uns in Stücke reißen.»
«Es … es ist ein Mirin-Wolf», stellte Miro mit bleichem Gesicht fest. «Ich dachte, die wären längst ausgestorben.»
Während die anderen Teenager sich allmählich von ihrem ersten Schock erholten, kniete sich Aliyah nieder, schlang ihre Arme um das Tier und schmiegte ihren Kopf an den seinen. Der Wolf leckte ihr über die Wange, und da erst merkte sie, dass er keinen Maulkorb mehr trug. Sie wischte sich die Freudentränen aus den Augen. «Nayati, mein lieber Nayati. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Warum bist du nur fortgelaufen?»
«Weil ich ihn gerufen habe», hörte sie die ruhige Stimme der Alten, die dicht neben ihr stand und den Wolf hinter den Ohren kraulte. «Nayati ist ein kluges Tier, tausendmal klüger, als Ihr denkt, Aliyah. Zu schade, dass Ihr seine gütigen Augen nicht sehen könnt.»
Aliyah wunderte sich, warum der Wolf weder das Mütterchen noch sonst jemanden im Raum anknurrte. Er verhielt sich so ruhig, als wäre er unter Freunden. Und noch etwas anderes verwunderte sie.
«Woher kennt Ihr seinen Namen?»
«Weil es schon immer sein Name war», antwortete die Alte geheimnisvoll. Aliyah verstand nicht.
«Aber ich habe ihm doch den Namen gegeben!»
«Nein, mein Kind, das habt Ihr nicht. Ihr habt ihn nur so genannt, wie er schon immer geheißen hat, lange bevor er Euch gefunden hat.»
Wieder stutzte Aliyah. «Er hat mich nicht gefunden. Ich habe ihn gefunden.»
Die Alte strich Nayati über den Kopf und ließ ihren Blick über die vier Jugendlichen schweifen.
«Es gibt vieles, was ihr nicht wisst, meine Kinder. Es ist Zeit, euch einzuweihen. Es ist Zeit, euch wissen zu lassen, warum ihr hier seid.»
28
Die Spiele begannen mit Akrobaten, Clowns, wilden
Weitere Kostenlose Bücher