Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
Propheten dem Volk aus diesem Buch vorlasen. Das Buch war mit so viel Weisheit und Klugheit gefüllt, dass sich unter seinem Einfluss das ganze Land veränderte. Der äußere Friede, der seit tausend und abertausend Jahren auf Shaíria geherrscht hatte, fand seinen Weg in die Herzen der Menschen. Über tausend Jahre wanderte das Buch der Prophetie von einer Generation zur andern, von einem König zum andern, bis eines Tages ein Mann auftauchte, der sich nicht mehr an die Worte dieses Buches halten wollte. Er riss alle Tempel nieder, verbrannte alle Kopien des Buches, die er finden konnte, und begann, die Propheten zu verfolgen und zu töten.»
«Weshalb?», fragte Aliyah, die der alten Frau aufmerksam zuhörte, während sie einen Keks aß.
«Er glaubte, die Propheten hätten das Vertrauen der Menschen missbraucht, um sie hinter diese Mauer zu locken. Und er glaubte, sie wären schuld daran, dass der Fels ins Meer stürzte und der Nebel kam. Er begann sie von da an nicht mehr als Propheten zu bezeichnen – sondern als Hexer und Hexen.»
«Moment mal, eine Sekunde», mischte sich Miro ein, «was für ein Märchen tischt Ihr uns hier auf? Ihr wollt uns weismachen, die Hexen wären die Guten? Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, dass wir darauf hereinfallen?! Hexen sind Hexen. Sie haben Dark City ins Verderben gestürzt. Sie haben mit ihrer Zauberei den Zorn Gottes heraufbeschworen. Jedes Kind weiß, wie abgrundtief böse sie sind.»
«Ihr täuscht Euch, mein Söhnchen. Ihr täuscht Euch. Drakar der Erste hat die Propheten und ihren Gott zum Sündenbock gemacht. Dark City ist verblendet von seiner Lüge.»
«Wie könnt Ihr es wagen, so über Drakar den Ersten zu reden?», knurrte nun auch Katara und stellte ihre Tasse geräuschvoll auf den Tisch. «Wir verdanken ihm unser Leben. Ohne sein Veolicht wären wir verloren.»
«Wir sind bereits verloren», sagte das Mütterchen. «Das Einzige, was uns jetzt noch retten kann, ist das Buch der Prophetie. Und ihr seid der Schlüssel dazu.»
«Wie bitte?», rief Miro und verschluckte sich am Tee. «Was redet Ihr da für einen Schwachsinn! Was haben wir denn damit zu tun?»
Die alte Frau blieb absolut ruhig. «Ich habe viel riskiert, um euch herzubringen. Und ich riskiere gerade in diesem Moment mein Leben, euch in Dinge einzuweihen, die man euch verschwiegen hat. Ich habe euch verschleppt, das ist wahr. Ich habe euch gewaltsam eurer gewohnten Umgebung entrissen. Aber ich musste es tun – um der Prophezeiung willen. Sie wird sich erfüllen: durch euch.»
«Wollt Ihr damit sagen, dass wir ein Teil dieser Prophezeiung sind?», fragte Aliyah ungläubig.
«Wir alle sind ein Teil davon», antwortete das Mütterchen. «Ob es uns bewusst ist oder nicht. Es geht alles in Erfüllung, wie es von Anbeginn an geschrieben steht. Das Buch der Prophetie lügt nicht.»
«Ihr blufft doch nur. Ich wette, es hat dieses Buch nie gegeben», meinte Katara.
Die Alte erhob sich schwerfällig, wälzte ihren dicken Körper an ihren Gästen vorbei und schlurfte zum andern Ende der kleinen Stube. Mit dem Fuß schob sie den Teppich zur Seite, bückte sich und klaubte eine lockere Leiste aus dem Holzboden. Ein Hohlraum kam zum Vorschein. Das Mütterchen griff hinein, fischte eine Blechschatulle heraus und kam damit zum Küchentisch zurück. Sie nahm den Deckel ab und legte ihn neben das Kästchen.
Dann hob sie sorgfältig einen rechteckigen Gegenstand aus der Truhe. Er war in ein grobes Stofftuch gewickelt, und als die Alte den Knoten des Tuches löste, kam ein Buch zum Vorschein. Es war alt und zerfleddert. Der schwarze Ledereinband war mit Eckbeschlägen aus Messing und kunstreichen Goldornamenten versehen. An der Längsseite der beiden Buchdeckel befanden sich sieben Siegel. Es waren sieben Lederriemen, die an dem hinteren Einbanddeckel befestigt waren und an dem vorderen lose in metallenen Laschen steckten. Der dunkelrote Siegellack über den Beschlägen war aufgebrochen worden. Ein paar Blätter hingen lose zwischen den Deckeln, und es schien, als würden eine Menge Seiten fehlen, ja, gewiss mehr als die Hälfte, der Breite des Buchrückens nach zu urteilen.
Die Jugendlichen ahnten bereits, was vor ihnen auf dem Küchentisch lag. Mit großen Augen und offenen Mündern starrten sie das Buch an. Das Mütterchen strich liebevoll über den Einband. Ihre Augen waren mit einem Mal von einem seltsamen Glanz erfüllt.
«Das Buch der Prophetie», hauchte sie ehrfurchtsvoll. «Das Original, das seit
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