Dark Future: Herz aus Eis
Wolfram.
»Und lass mich raten … Die Gruppe besteht nur aus Freiwilligen.« Raina klappte den Mund zu. In einiger Entfernung sah sie, wie eine Gruppe von Rebellen vorbeirannte, Waffen in der Hand, Munitionsgürtel um den Oberkörper geschlungen. Sie glaubte, Trey an der Spitze der Männer zu erkennen. Sein Gesicht mit der Narbe wirkte entschlossen. Gruppe C auf dem Weg an die Front. Würde einer von ihnen den morgigen Tag erleben?
Ihr Blick fiel wieder auf die Sattelzüge der Piraten, die unbarmherzig näher kamen. Das Selbstmordkommando – oder der Vortrupp, wie Yuriko die Gruppe genannt hatte – raste über das Eis, als würden die Männer um einen schnellen und schmerzhaften Tod betteln.
Dummer Mann. Dummer, dummer Mann.
Wizard würde in winzige Stückchen zerfetzt werden. Entweder das, oder man würde ihn aufschlitzen und ihm seine Eingeweide in den Hals stopfen. Moment mal. Hatte sie diese Gedanken nicht schon einmal gehabt?
Ach ja.
In der schicksalhaften Nacht, als sie sich entschieden hatte, einzugreifen und Wizard aus den Fängen der
Janson
-Leute zu befreien.
Obwohl er in jener Nacht eigentlich gar keine Hilfe gebraucht hatte.
Also, warum glaubte sie, dass er heute ihre Unterstützung brauchte?
Weil sie nicht einfach tatenlos zusehen konnte, wie er getötet wurde. Wenn sie mit ihm da draußen war, konnte sie ihm zumindest Rückendeckung geben.
Versuchst du, dich umbringen zu lassen? Es ist nicht dein Kampf, Mädchen. Lauf weg. Sofort.
»Halt die Klappe, Sam. Du bist tot. Du könntest wenigstens aufhören, in meinem Kopf herumzuspuken«, murmelte sie.
Mit einem leisen Knurren ging Raina zu der Reihe Rebellen hinüber, die vor einer großen Kiste warteten, aus der mit ungerührter Betriebsamkeit Waffen verteilt wurden. Sie drängelte sich nach vorn, und als Gerhardt ihr eine AT 950 zuwarf, prüfte sie so schnell wie nie zuvor in ihrem Leben die Waffe, schlang sich die große Plasmakanone dann kurzentschlossen über die Schulter und rannte zu ihrem Truck. An der Seite drückte sie auf den Knopf des hydraulischen Lifts und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden, während sich die Klappe in Bewegung setzte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das Schneemobil endlich auf dem Boden war. Sie sprang auf den Sitz und startete den Motor.
»Raina.«
Sie sah auf und erblickte Yuriko, die sie beobachtete. Die Kommandeurin hob die Hand und machte ein Peace-Zeichen. »Pass auf dich auf, Raina Bowen. Und erlebe den Frieden.«
»Du auch, Yuriko.« Raina lächelte leicht, als sie ebenfalls das Handzeichen machte. Das musste man sich einmal vorstellen. Da war sie ihrem Traum von einem Zuhause, ihrem Traum von einem Ort, der ihr gehörte, so nahe gekommen. Doch statt des Preisgeldes, mit dem sie sich diesen Traum hätte verwirklichen können, hatte sie einen Mann bekommen, der sie dazu brachte, freiwillig ihr Leben für eine Sache zu riskieren, die sie eigentlich nichts anging, und ein ganzes Rebellen-Camp, das ihr ein Zuhause geboten hatte. Sie nahm an, dass das alles schon eine Belohnung war – falls sie lange genug leben würde, um sie genießen zu können.
Verfluchte Scheiße.
Sie schluckte. »Yuriko, falls ich nicht zurückkommen sollte … falls du diesen Tag überleben solltest … schick mein Geld zu Beth Bowen. Sie geht auf die Sheppard School. Sag ihr …« Sie schüttelte den Kopf. »Sag ihr nichts.« Raina seufzte. »Du bist wie Wizard, oder? Du kannst jeden Code, jedes Schloss knacken, stimmt’s? Also … du wirst mein Geld finden, das ganze Geld, und dich um Beth kümmern.«
»Das verspreche ich«, entgegnete Yuriko, nahm ihr Headset ab und stellte eine neue Frequenz ein. Sie gab Raina das Gerät. »Du musst mit den anderen kommunizieren, wenn du ihnen helfen willst.«
Raina nahm das Headset entgegen, setzte es auf und steckte sich den Empfänger ins Ohr. Wieder ließ sie den Motor aufheulen, beugte sich dann tief über den Lenker und fuhr auf den Horizont und die Trucks zu, die sich bedrohlich wie dunkle Monster gegen den gleißend hellen Hintergrund der endlosen gefrorenen Ebene abzeichneten. Ihr Blick war auf den Anführer des Vortrupps gerichtet, ein Schneemobil ganz vorn an der Spitze. Er war zu weit entfernt, um ihn genau erkennen zu können, doch sie wusste, wer er war.
Bis sie nicht geklärt hatte, was genau zwischen ihnen war, würde sie nicht zulassen, dass Wizard losging, um sich umbringen zu lassen.
Sie würde ihn ins Leben zurückprügeln, falls er es tat.
Wizard
Weitere Kostenlose Bücher