Dark Heart: Zweiter Band
der Ermittlungen. Immerhin hatte sich Kyle gestern Nacht wegen ihr mit dem Fremden geprügelt. Megan hatte der Streit mit ihrem Freund an diesem Morgen bereits leidgetan, umso mehr als sie erfuhr, dass Kyle verschwunden war. Den ganzen Vormittag hatte sie mit rot geweinten Augen dagesessen und sich geräuschvoll die Nase geputzt, damit auch jeder Zeuge ihres Leidens wurde. Aber dann verspielte sie schlagartig all unsere Sympathien mit der Behauptung, dass Kyle sein Verschwinden bestimmt nur inszeniert habe, um sie zu bestrafen. Den ganzen Tag pendelte ihre Gefühlslage zwischen Selbstmitleid, enttäuschter Liebe und Angst.
Als wir fünf mit den beiden Beamten in einem leeren Kursraum saßen und die Ereignisse des gestrigen Abends schilderten, lieferte Megan den entscheidenden Hinweis: Sie erzählte von dem Mann, mit dem sich Kyle geprügelt hatte.
Einer der beiden Polizisten nahm die Beschreibung auf. Ich vermutete, dass er sie zu einem späteren Zeitpunkt mit den Aussagen der Clubgäste vergleichen wollte.
Mir war natürlich sofort klar, dass die Polizei Daron Arkassian nicht finden würde, aber ich wusste auch, dass er nichts mit Kyles plötzlichem Verschwinden zu tun haben konnte. Lilith McCleery hatte mir Daron als persönlichen Bodyguard geschickt, er würde sich nie an einem meiner Freunde vergreifen, selbst wenn er zurzeit auf der Suche nach einer neuen Gefährtin wäre und ein Auge auf Megan geworfen haben sollte.
Am Nachmittag klopfte M s Hellendahl, Rektor Sorensons Assistentin, an die Tür des Chemieraums, wechselte ein paar Worte mit unserem Lehrer, bevor sie mich mit ernster Miene bat, sie zu begleiten. Noch als ich meine Sachen zusammenpackte, war ich wie betäubt, Mark musste mir helfen, meine Bücher zu verstauen. Irgendetwas Schreckliches war geschehen. Um das zu verstehen, musste ich M s Hellendahl noch nicht einmal in die Augen schauen. Schweigend gingen wir durch die langen Korridore, und ich wagte nicht, sie zu fragen.
Rektor Sorenson, ein etwas rundlicher Mann mit weißem Haar, war diesmal nicht allein in seinem karg eingerichteten Büro. Er stand am Fenster und unterhielt sich nachdenklich mit einem Mann, den ich hier am allerwenigsten erwartet hatte: Hank.
Als Sorenson mich sah, unterbrach er das Gespräch und verließ zusammen mit seiner Assistentin den Raum. Dabei warf er mir einen mitfühlenden Blick zu.
»Was ist los, Hank?«, fragte ich ängstlich.
»Ich bin wegen Ihres Vaters hier«, sagte er und schluckte. Hank mochte vielleicht mit den meisten schwierigen Situationen zurechtkommen, aber ein Mann vieler Worte war er nicht. Mein Magen schrumpfte schlagartig auf Walnussgröße zusammen. Ich wusste, dass Hank für meinen Schutz verantwortlich war, aber normalerweise hielt er sich, so gut es ging, im Hintergrund. Dass er in der Schule auftauchte, konnte nur eines bedeuten: schlimme Nachrichten.
»Was ist passiert?« Meine Stimme war nur noch ein raues Flüstern.
»Ihr Vater hatte einen Herzinfarkt.«
Ich schwankte und griff nach der Lehne eines Besucherstuhls, um mich abzustützen. »Wie schlimm ist es?«
Hank wich meinem Blick aus.
Meine Augen brannten. Ich blinzelte. Tränen liefen mir über die Wangen. »Ist e r …«
»Nein. Er ist nicht tot«, sagte Hank so leise, dass ich ihn kaum verstand. »Aber die Ärzte haben keine Hoffnung mehr. Es wäre ein Wunder, wenn Ihr Vater die kommende Nacht überlebte.«
Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Hank nahm mich in die Arme. Er strich mir über den Rücken und holte selbst zitternd Luft. »Kommen Sie, M s Garner. Ich fahre sie ins Krankenhaus. Ihre Mutter und ihre Großmutter sind schon dort.«
In meinem Käfer fuhr ich hinter Hanks Lieferwagen her, obwohl er mich nur ungern ans Steuer gelassen hatte. Seine Sorge war nicht unbegründet. Meine Gedanken kreisten so sehr um Dad, dass ich mehr als einmal beinahe Hanks Wagen an einer roten Ampel gerammt hätte.
Dad war ein Arbeitstier. Seit ich denken konnte, war er vor mir aus dem Haus gegangen und meist erst am Abend zurückgekehrt. Wenn es in der Redaktion rundging, schlief er im Büro, auch samstags. Aber Dad war stark und gesund! Das hatte ich mir zumindest immer eingeredet. Nur fettleibige Männer um die siebzig, die dicke Zigarren rauchten und zu viel Wein tranken, waren in meinen Augen Kandidaten für einen Herzinfarkt. Aber doch nicht mein Vater!
Wir stellten unsere Wagen auf dem Besucherparkplatz des General Hospital ab und liefen, so schnell wir konnten, zur
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