Dark Heart: Zweiter Band
anymore von den Walker Brothers. Bei diesem Song hatten sich meine Eltern das erste Mal geküsst, doch jetzt klang das bittersüße Stück aus den Sechzigern wie ein drohendes Omen.
Hank lobte das vorzügliche Essen, rutschte aber ansonsten den ganzen Abend nervös auf seinem Stuhl hin und her, da er offensichtlich das Gefühl hatte, fehl am Platz zu sein. Er tat mir leid. Mit einer Horde Vampire konnte er gut fertig werden, aber dieses steife Abendessen mit Goldrandtellern und Stoffservietten überforderte ihn sichtlich.
»M r Gerard, eine ehrliche Frage: Wie groß ist die Gefahr, in der Lydia schwebt?«
Die Frage meines Vaters kam so unvermittelt, dass Hank sich verschluckte. Er hustete und nahm einen Schluck Bier, um den letzten Bissen herunterzuspülen.
»Das weiß ich offen gestanden auch nicht genau.« Hank wischte sich mit der Serviette den Mund ab. »Dazu müssten wir Solomons Pläne kennen.«
»Was würden Sie an seiner Stelle tun?«
Hank lachte verlegen. »Sie erwarten da ziemlich viel von mir. Aber gut. Charles Solomon hat versucht, mithilfe des Voynich-Manuskripts eine Vampirarmee zu erschaffen, die nur ihm gehorcht. Sein Ziel ist es, die Macht über alle Nachtgeschöpfe an sich zu reißen. Der gescheiterte Angriff auf Lilith McCleery war nur der Anfang.«
»In Schanghai und Abidjan hatte er mehr Erfolg«, sagte ich und schenkte mir noch etwas Wasser ein. Moms Braten war vorzüglich, aber sie hatte mir zu viel aufgelegt. Mein Teller war noch halb voll, als ich das Besteck beiseitelegte.
»Das werden nicht die einzigen Anschläge bleiben«, sagte Hank. »Liliths Ratsmitglieder dürften ganz schön nervös sein.«
»Das beantwortet nicht meine Frage«, sagte Dad. »Was hat meine Tochter zu befürchten?«
»Sie steht sicher nicht ganz oben auf Solomons Abschussliste. Er will die Anführer beseitigen.«
»Und was ist mit der besonderen Qualität von Lydias Blut?« Dad ließ nicht locker.
»Ich wüsste nicht, welchen Vorteil er sich durch Lydia verschaffen könnte. Das Voynich-Manuskript dürfte wichtiger für ihn sein.«
»Um genau zu sein: die Handschrift, von deren Übersetzung acht Seiten fehlen«, korrigierte ihn Mom.
»Richtig«, gab Hank zu. »Scheinbar benötigt er aber genau diese Seiten, um sich zur Allmacht aufzuschwingen.«
»Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen«, sagte Mark.
»Na ja, es ist eine Sache, alle Vampirfürsten der Welt zu töten, aber etwas ganz anderes, alle übrigen Nachtgeschöpfe an sich zu binden«, versuchte Hank zu erklären. »Solomon muss ihnen etwas im Austausch für ihre Dienste biete n – etwas, was ihnen das schwierige Leben in der Menschenwelt erleichtert.«
»Sie vertragen kein Licht«, begann mein Vater.
»Oh ja, das ist ihr größtes Handicap«, sagte Hank. »Und sie können sich nicht fortpflanzen. Totes kann nichts Lebendiges erschaffen.«
»Einspruch. Mein Vater ist ein Vampir«, sagte ich.
»Angenommen. Aber wenn mir die Bemerkung erlaubt ist: Lydia ist die große Ausnahme.«
»Aber wie erklären Sie sich dann den Fall Keren Demahigan?«, fragte Mark und hob abwehrend die Hand, als ihm mein Dad noch Cola nachschenken wollte. »Obwohl die Übersetzung nicht vollständig war, ist es Solomon gelungen, einen toten Vampir wiederauferstehen zu lassen und ihn zu einem Tagwandler zu machen.«
Das war ein Punkt für Mark. Er hatte Recht. Auch Mom sah ratlos aus.
»Lydia wird bis auf Weiteres nicht zur Schule gehen«, bestimmte Dad.
Mom sah ihn überrascht an. »Was heißt denn: bis auf Weiteres?«
»Bis jede mögliche Gefahr ausgeräumt ist.«
»Lloyd, wie stellst du dir das vor?«
Dad kniff die Lippen zusammen und gab keine Antwort.
»Wie lange soll ich zu Hause bleiben?«, fragte ich misstrauisch.
»Keine Ahnung. So lange, wie es nötig ist«, sagte Dad ungerührt. »Ich werde mit deiner Großmutter zusammen überlegen, wie es weitergeht.« Er sah mich streng an. »Solange wirst du dieses Haus nicht verlassen.«
»Was?« Ich war fassungslos. »Ich habe Hausarrest?«
Dad stand auf und warf die Serviette auf den Tisch. »Zu deiner eigenen Sicherheit.«
Damit fand das Abendessen ein jähes Ende. Niemand rührte den Nachtisch an. Noch nicht einmal Hank, der aussah, als hätte er eigentlich noch Hunger. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zog sich Dad in sein kleines Arbeitszimmer zurück, offenbar um verschiedene Leute anzurufen. Mom räumte das Geschirr ab. Hank, Mark und ich halfen ihr dabei. Die Stimmung war auf dem Nullpunkt. Dad
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