Dark Heart: Zweiter Band
ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihnen.«
Plötzlich stieß die Frau hinter mir einen spitzen Schrei aus. Der Pfarrer drehte sich um, der Ministrant ließ den Schirm sinken. Dann sah ich, wer da mehr tot als lebendig vor uns zusammenbrach.
»Kyle!«, rief ich. So schnell ich konnte, lief ich durch den strömenden Regen zu ihm. Was ich zunächst für Schmutz in seinem Gesicht gehalten hatte, war in Wirklichkeit getrocknetes Blut. Er trug immer noch die dünnen Sachen, die er am Tag seines Verschwindens angehabt hatte. Mark, der jetzt neben mir kniete, zog seine Jacke aus und legte sie Kyle um. Kyle zitterte so sehr, dass es aussah, als würden ihn Krämpfe schütteln. Er versuchte etwas zu sagen, aber es kam kein Ton aus seinem Mund. Dad holte sein Handy aus der Jackentasche und wählte die Notrufnummer.
»Mi r … ist kalt«, flüsterte Kyle.
»Wir brauchen Decken und Mäntel, schnell!«, rief Mark.
Kyle hatte in diesen wenigen Tagen enorm an Gewicht verloren. Seine Wangenknochen standen hervor, das Hemd hing in Fetzen an ihm herab. Sein ganzer Körper war übersät von Wundmalen, so als wäre er mit Stacheldraht gefesselt gewesen. Mom war sofort bei ihm und untersuchte die Verletzungen.
»Er hat eine schwere Unterkühlung. Der kalte Boden wird ihn umbringen.«
Dad packte mit an und gemeinsam drehten wir Kyle auf die Seite. Einer der Trauergäste zog seinen Mantel aus und breitete ihn auf der Erde aus. Dann rollten wir Kyle zurück. Seine Lippen waren blau angelaufen und zitterten so sehr, dass wir keines seiner Worte verstehen konnten.
Ich bettete seinen Kopf in meinen Schoß. Um uns herum standen die Trauergäste, Laute des Entsetzens waren zu hören. Kyles flackernder Blick hielt inne, als er mich erkannte. Er lächelte und entblößte dabei zwei Reihen übergroßer Zähne. Sein Zahnfleisch hatte sich zurückgezogen.
»Wer hat dir das angetan?«
Seine Lippen bewegten sich, als er mit seiner zerschundenen Hand Zeichen in die Luft zu schreiben begann.
Ich beugte mich zu ihm hinab und untersuchte seinen Hals. Wie das Gesicht war er blutverkrustet, aber unversehrt. »Sag es mir«, flüsterte ich in sein Ohr.
Kyle verzog weinerlich den Mund. »Kein Mensc h …«, krächzte er immer wieder. »Kein Mensc h …«
»Kannst du ihn beschreiben?«
Kyle schüttelte den Kopf und ich wusste nicht, ob er es mir nicht sagen konnte oder nicht sagen wollte. Eisige Furcht schien ihn zu lähmen. Seine Hand tastete nach meiner, und er drückte sie so fest, dass ich erschrak. Plötzlich schien sein Verstand klar. »Ich soll dir etwas von ihm sagen, Lydia. Ich soll dir sagen, dass er kommt. Egal, wo du dich versteckst, er wird dich finden.«
»Wer, verdammt noch mal?«, schrie ich ihn an.
Kyle schaute mich an, als wäre ich schwachsinnig. Dann runzelte er die Stirn und starrte hinauf in den Himmel. Sein Blick brach.
Mom legte ihre Finger in seine Halsbeuge und sah mich entsetzt an. Dann drehte sie sich zu Grandma um, die als Einzige nicht von ihrem Stuhl aufgesprungen war. Ihr Gesicht war zu einer Maske gefroren.
Kyle Tenbury war tot.
Ich hörte eine Sirene, laut und durchdringend. Ein Blaulicht warf seinen kalten Schein auf Kyles nun plötzlich friedlich wirkendes Gesicht. Trotz des Aufruhrs um mich herum konnte ich den Blick nicht von Kyle wenden. Mark zog mich behutsam auf die Beine. Zusammen mit meinem Vater führte er mich zu unserem Auto, während sich meine Mutter um Grandma kümmerte. Mark schob mich sanft auf den Rücksitz unseres Volvos. Irgendjemand sagte etwas zu mir, aber ich hörte nicht zu. Alles um mich herum war ein einziger Albtraum.
»Wir fahren nach Hause«, entschied mein Vater. »Was ist mit dir, Mark? Du willst sicher bei deiner Mutter bleiben.«
»Ich kann sie jetzt nicht allein lassen. Nicht nach dem, was gerade geschehen ist.« Er legte seine Hand auf meine Schulter. »Lydia, ich komme, so schnell ich kann. Hast du mich verstanden?«
Ich nickte und versuchte mit dem Ärmel einen Schmutzfleck auf meiner Jacke zu entfernen. Dabei rieb ich ihn nur tiefer ins Gewebe ein. Mark gab mir einen hastigen Kuss und lief zu seiner Mutter hinüber, die noch im Pavillon saß, die Tasche auf dem Schoß, die Beine über Kreuz, so als wartete sie auf einen Tanzpartner, der nie kommen würde.
»Lydia?«
Ich zuckte zusammen, als meine Mutter mich vorsichtig an der Schulter berührte. Großmutter hatte sich bei ihr eingehakt. Sie gab mir ihren Stock und kletterte zu mir auf die Rückbank. Mom warf die
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