Dark Heart: Zweiter Band
schweren, abgewetzten Stiefeln und der schmutzigen Baseballkappe wie ein Holzfäller aus, der plötzlich im Wald vor einer Fee steht. Einer sehr, sehr dunklen Fee. »Sie wollen sich bestimmt davon überzeugen, dass Lydia hier in den besten Händen ist«, sagte Lilith.
»Entschuldigen Sie die Frage, aber woher haben Sie gewusst, dass wir Sie um Hilfe bitten würden?«, fragte ich neugierig.
»Nun, ich hatte gehofft, dass deine Familie von selbst auf die Idee kommt«, sagte sie. »Verstehe mich nicht falsch, ich habe die allergrößte Hochachtung vor deiner Großmutter. Aber nachdem Solomon von den Toten auferstanden war, wurde mir klar, dass die Wächter nicht zwei Aufgaben gleichzeitig bewältigen können: deine Sicherheit zu gewährleisten und den Verräter aufzuspüren.«
Sie wandte sich wieder Hank zu. Beide hatten dieselbe Größe, und trotzdem schien es, als würde Lilith ihn überragen. »Bleiben Sie noch zum Dinner?«, fragte sie. Es war eine ehrliche Einladung, aber Hank schüttelte den Kopf.
»Nein, besten Dank. Aber das hie r …« Er machte eine etwas hilflose Bewegung mit der Hand, die das Zimmer, das Haus und vermutlich den ganzen Berg, auf dem es stand, mit einschließen sollte. »… das hier ist nichts für mich.«
»Vielleicht haben wir ja später einmal Gelegenheit, uns richtig kennenzulernen«, sagte Lilith. »Sie sind in diesem Haus immer willkommen.« Sie winkte den Diener heran. »Lewis wird Sie zur Tür bringen.«
Hank zögerte. Ich lächelte und nickte ihm zu, dass alles in Ordnung sei. »Wir bleiben in Kontakt«, sagte er.
»Ja, das bleiben wir«, sagte ich beruhigend. Dann schloss er die Tür.
»M r Gerard nimmt seine Aufgabe sehr ernst«, stellte Lilith fest.
Sie setzte sich auf einen Stuhl und lud mich ein, ebenfalls Platz zu nehmen. »Er traut mir noch immer nicht.«
»Nehmen Sie es nicht persönlich«, sagte ich. »Er traut niemandem, deswegen lebt er vermutlich auch noch. Gibt es Neuigkeiten von Charles Solomon?«
Bei der Erwähnung des Namens wich alle Freundlichkeit aus Liliths Gesicht. »Jedes Nachtgeschöpf, das unter meinem Befehl steht, hat sich auf die Suche nach ihm begeben. Wir sammeln gerade alle Informationen über seinen Verbleib, um sie an deine Großmutter weiterzuleiten.« Es klang nicht so, als würden diese Berichte sehr umfangreich werden. »Eines wissen wir mit Bestimmtheit: Solomon hat sich aus allen Geschäften zurückgezogen. Niemand weiß, wo er sich jetzt aufhält oder wie man mit ihm in Kontakt treten kann. Kein Telefon, keine E-Mail. Nichts, was Spuren hinterlassen könnte. Das hat wohl zu einiger Unruhe in seiner Kanzlei geführt, denn er muss noch einige Dokumente und Verträge unterschreiben, sonst können seine Anteile nicht verkauft werden.«
»Also will er sich doch nicht aus dem Geschäft zurückziehen«, mutmaßte ich.
»Oder diese Geschäfte sind ihm egal, weil er ein wichtigeres, höheres Ziel hat.«
Zum Baden war…
Z um Baden war nun keine Zeit mehr, also nahm ich eine heiße Dusche und zog das Kleid an, das Lewis für mich ausgesucht hatte. Es passte wie angegossen. Auch die dunkelblauen hochhackigen Schuhe waren gar nicht so höllisch unbequem, wie sie aussahen. Zuletzt legte ich den Schmuck an und betrachtete mich von allen Seiten im Spiegel. Ich nickte zufrieden.
Nervös trat ich hinaus auf den verwaisten Flur. Nur das Streichquartett war leise zu hören.
»Lewis?«, rief ich ängstlich. Niemand antwortete mir. Da wurde schräg gegenüber eine Tür geschlossen.
»Kann ich Ihnen helfen?« Die Frau war etwa im Alter meiner Mutter und trug ein nachtschwarzes Abendkleid im Stil der Fünfziger und das passende Make-up: Die Lippen leuchteten feuerrot und die gezupften Augenbrauen waren mit einem dunklen Stift nachgezogen. Das kastanienbraune Haar fiel ihr gewellt in den Nacken.
»Leider weiß ich nicht, wo der Speisesaal ist. Das Dinner muss gleich anfangen.«
Die Frau schien fieberhaft zu rätseln, wo sie mich einordnen sollte. »Wessen Gefährtin sind Sie denn? Ich habe Sie hier noch nie gesehen.«
»Ich bin nicht mit einem Nachtgeschöpf zusammen. Mein Name ist Lydia Garner.«
»Ach, Sie sind die junge Dame, die die Königin gerettet hat! Ich heiße Helen Marksteiner. Herzlich willkommen in der Mountain View Lodge, dem Schloss der Vampire!« Ich musste ein erschrockenes Gesicht gemacht haben, denn sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Keine Angst, gar so gruselig ist es hier nicht. Das werden sie sehr bald selbst
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