Dark Heart: Zweiter Band
lebten anstelle ihrer Partner. Sie aßen für sie, tranken für sie, lachten für sie. Sie spürten das Glück in ihrem Namen. Vielleicht war das der Grund, weshalb der Hofstaat so ausschweifend feierte.
Nachdem das Dessert abgeräumt und der letzte Kaffee getrunken war, erklang ein tiefer Gong. Die großen Flügeltüren wurden geöffnet und Lilith McCleery betrat mit ihrem Gefolge den Saal. Ein Duft von Jasmin und Zedernholz, Lavendel und Bergamotte, Schlüsselblumen und Zitrone wehte herein, betörend wie ein schweres Parfüm.
»Um Gottes willen, meine Liebe! Geht es Ihnen nicht gut?«, rief Helen, als sie mein bleiches Gesicht und die weit aufgerissenen Augen sah.
Ich schüttelte benommen den Kopf und winkte ab. »Nein, es ist alles in Ordnung. Ich vertrage nur keinen Alkohol.«
Helen schaute mich an, als wollte ich sie auf den Arm nehmen. »Zwei Gläser Champagner vor dem Essen und Sie kippen beinahe aus den Schuhen? Na, das wird sich in den nächsten Tagen ändern, glauben Sie mir!«
Ich runzelte die Stirn, denn das befürchtete ich auch.
Es war eine bemerkenswerte Zusammenkunft, denn eine unsichtbare Linie schien diesen Raum in zwei Hälften zu teilen. Die eine war den menschlichen Gefährten vorbehalten, die andere den Nachtgeschöpfen, die von der Jagd zurückgekommen waren. Einige der Vampire hatte ich schon einmal gesehen, beim Kampf gegen Charles Solomon. Nur einer von ihnen ließ mich zusammenzucken. Er war schlank und hatte das blonde, fast weiße Haar in seinem Nacken nun zu einem Zopf gebunden. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er anzüglich und deutete eine Verbeugung an. Es war Daron Arkassian, der Vampir, mit dem sich Kyle Tenbury im Cellar angelegt hatte. Der Gong ertönte ein zweites Mal und alle Unterhaltungen erstarben. Niemand hielt mehr ein Glas in der Hand. Alles Geschirr war von den Bediensteten abgeräumt worden.
Lilith McCleery trat in die Mitte des Raums, sodass jeder sie sehen konnte. Statt ihrer Jagdkleidung trug die Königin nun ein goldfarbenes Seidenkleid im chinesischen Stil, in das kunstvoll ein kompliziertes Lotusmuster eingewoben war. Das schwarze Haar hatte sie hochgesteckt, Perlmuttnadeln schmückten die Frisur. Die tiefen Narben an Hals und Handgelenken, die von Solomons Silberketten stammten, leuchteten rot. Leicht hätte Lilith sie unter einem Schal verstecken können. Stattdessen zeigte sie ihre Male mit Stolz und ohne Scham. In diesem Moment empfand ich große Bewunderung für sie.
»Letzte Woche mussten wir eine harte Schlacht schlagen. Beinahe hätten wir alle durch Verrat den endgültigen Tod gefunden. Dass wir davongekommen sind, haben wir einem einzigen Menschen zu verdanken.« Lilith McCleery wandte den Kopf in meine Richtung. »Lydia Garner, ich möchte dich in unserem Kreis willkommen heißen. Wir stehen in deiner Schuld.«
Nachtgeschöpfe und Vampire klatschten Beifall. Helen Marksteiner strahlte mich mit mütterlichem Stolz an. Und auch Thomas brach in begeisterte Rufe aus. Klar, dass sie mir dankbar waren. Schließlich hatte ich ihr verlogenes kleines Paradies gerettet.
Lilith McCleery winkte mich zu sich heran. Mir war diese ganze Aufregung um meine Person peinlich, am liebsten hätte ich mich irgendwo verkrochen. Aber es gab kein Entfliehen: Offenbar wurde erwartet, dass ich hier, jetzt und auf der Stelle eine Rede hielt.
Ich drehte mich um und war von Dunkelheit umgeben, so als hätte mich eine unbekannte Macht an einen anderen Ort geschleudert. Jack, dachte ich erschrocken! Ich war in ihm.
Ein harter Schlag traf ihn an der Seite und riss ihn von den Beinen. Mein e – sein e – Hand suchte rudernd nach Halt. Mir war schwindelig. Ich blinzelte, um mich war nur kalte, feuchte Finsternis. Jack drehte sich um. Der nächste Hieb traf ihn an der Schulter. Nein!, dachte ich verzweifelt und runzelte die Stirn. Es waren keine Schläge, die ihn trafen. Es waren Steine.
Jack? Ich schrie seinen Namen, der in meinem Kopf widerhallte wie der Misston einer gesprungenen Glocke.
Der wohlwollende Beifall, der mich eben noch umschmeichelt hatte, erstarb. Lilith McCleery richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Ihr Gesicht gerann zu jener Maske, die ich schon an ihr kannte und die keinerlei Gefühl verriet. Dann knickten meine Beine weg und ich sank zu Boden.
Wo bist du, Jack?, rief ich in Gedanken. Statt einer Antwort strömten wilde Empfindungen auf mich ein: Staunen, Zorn und panische Angst. Doch Jacks Wut auf sich selbst überlagerte alles.
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