Dark Heart: Zweiter Band
gerissen.
»Offensichtlich haben wir Solomon bei seinen Nachforschungen doch zu spät gestört und er hat etwas gefunden«, sagte Jack und hob eine kleine Blechkiste auf, die genau in eine Aussparung zwischen den Bodendielen passte. Darin fanden sich zwei Bündel Banknoten aus der alten Scenes-of-Canada-Serie, die man schon vor langer Zeit aus dem Verkehr gezogen hatte, Reisepässe aus fünf Ländern, seit mindestens zwanzig Jahren abgelaufen, alte Kreditkarten von American Express, Visa und Mastercard.
Jack blätterte die Pässe durch und stutzte. »Ist das James Milton?«, fragte er und hielt einen der Ausweise hoch, damit ich das Foto sehen konnte.
»Ich denke schon. Es sieht der Miniatur sehr ähnlich, die ich von ihm gesehen habe. Warum fragst du?«
»Weil man Nachtgeschöpfe nicht fotografieren kann. Ihre Gesichter erscheinen immer unscharf.«
»Gib mal her!« Ich untersuchte das Foto genauer. »Vielleicht ist die Aufnahme zu einem Zeitpunkt gemacht worden, als er dem Menschsein schon sehr nahegekommen war.« Wenn er ein Tagwandler war und sich daher ganz selbstverständlich in der menschlichen Gesellschaft bewegte, dann musste er auch normal gereist sein: im Flugzeug, mit dem Auto oder mit dem Zug.
»Hier sind alte Kreditkartenabrechnungen«, sagte Mark. »Sieht so aus, als hätte James Milton besonders in den Wintermonaten immer wieder eine Maschine gechartert, die ihn weit in den Norden gebracht hat. Sagt euch der Name ›Aklavik‹ etwas?«
Jack hob einen alten Atlas auf, der inmitten eines Stapels verrotteter Bücher lag. »Aklavik ist ein kleines Nest jenseits des Polarkreises, rund hundert Kilometer von der Beaufortsee entfernt. Dort ist es im Winter fast vierundzwanzig Stunden dunkel. Und der Ort lässt sich nur mit dem Flugzeug erreichen.«
»Aber Milton ist ein Tagwandler«, sagte ich nachdenklich. »Die Sonne macht ihm nichts aus!«
»Ihm nicht«, wandte Jack ein. »Aber was ist mit Nachtrabe?«
Mark seufzte. »Also auf nach Aklavik?«
»Es ist die einzige Spur, die wir haben«, sagte ich.
Plötzlich witterte mein Instinkt Gefahr, ich drehte mich u m – und stieß einen Schrei aus. Mark riss das Gewehr hoch, Jack griff reflexartig nach seinem Messer.
Der Mad Trapper stand in der Tür. Der Geruch nach vergorener Milch war verschwunden; allerdings sah der Kerl immer noch so aus, als benötigte er dringend ein heißes Bad.
»Woho, ganz ruhig«, sagte er und rührte sich nicht von der Stelle. Seine Stimme klang tief und erstaunlich melodiös. »Ich tue Ihnen nichts.«
»Ach ja?«, fragte Mark scharf.
»Ich bin noch etwas durcheinander und versuche gerade zu verstehen, was mit mir passiert ist«, sagte der Trapper nervös. »Fällt mir allerdings noch ein bisschen schwer.« Er zeigte auf einen umgestürzten Hocker. »Darf ich?«
Mark nickte und der Trapper drehte den Hocker um und setzte sich stöhnend, so als täten ihm alle Knochen weh.
»Sie sind Wayne Chapman?«, fragte Mark.
»Ja«, antwortete Chapman kurzatmig, als sei er immer noch zu Tode erschrocken. »Bitte nehmen Sie das Gewehr runter.«
Mark ließ zögernd die Waffe sinken.
»Danke«, sagte Chapman. »Ich weiß nicht, wie Sie das gemacht haben, aber Sie haben meine Seele gerettet. Oder vielmehr das, was davon noch übrig ist.«
Jack wurde bleich. Es war ihm anzusehen, dass er nur zu gut nachfühlen konnte, was dem Trapper zugestoßen war.
»Ich lebe schon seit Jahren in den Wäldern«, begann dieser stockend. »Sie nennen mich einen Eigenbrötler. Und ja, vielleicht bin ich das auch. Menschen machen mich nervös. Am besten komme ich alleine klar. Vor gut einer Woche tauchte dann plötzlich dieser Kerl bei mir auf. Groß, klapperdürr, Glatze, mit so einem seltsamen, ungesunden Flackern in den Augen. Mir war von Anfang an klar, dass er nicht alle beisammenhatte. Mal ehrlich: Wer läuft schon mit einem Viertausend-Dollar-Anzug im Wald rum und sucht nach einer verlassenen Hütte?«
»Was haben Sie ihm gesagt?«
»Na, was wohl? Dass ich keine Ahnung von nix habe und er sich verziehen soll, wenn er nicht will, dass ihn meine Hunde in den Allerwertesten beißen. Normalerweise habe ich vor nichts Angst, aber der Typ war gefährlich, das hab ich sofort gespürt. Und meine Hunde auch. Sie waren komplett außer Rand und Band. Irgendetwas an ihm machte sie total aggressiv. Aber das schien ihn überhaupt nicht zu beeindrucken. Er blieb ganz cool und fragte, ob ich mal einem James Milton begegnet war.«
»Und? Sind
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