Dark Heart: Zweiter Band
ich nur mit Mühe folgen konnten. Die ganze Zeit mussten wir querfeldein laufen, denn wir mieden die Wildpfade. Andernfalls, so erklärte uns Mark, wären wir in Gefahr, einem Bären über den Weg zu laufen, der in der Nähe eines Baches auf Beute lauerte. Also kämpften wir uns im dichten Schneetreiben durch dorniges Unterholz die steilen Hänge hinauf, nur um auf der anderen Seite wieder hinabzuklettern. Es war eine Reise in ein menschenfeindliches Land, durch ein Meer aus schneebedeckten Bäumen, über dem sich ein bleierner Himmel wölbte, aus dem ununterbrochen dichter Schnee fiel. Dann erreichten wir endlich den See.
Er war nicht groß, im Sommer konnte man ihn sicher in einer Stunde durchschwimmen. Doch jetzt, wo die Vorboten eines harten Winters das Land mit einer beißenden Kälte überzogen, lud er ganz gewiss nicht zum Baden ein. Etwas lag in der Luft. Etwas, was nicht nur mir Angst machte.
»Spürt ihr das auch?«, flüsterte ich und hob die Nase, um einen Blumenduft zu erhaschen, der ganz und gar nicht zu dieser Jahreszeit passte. Eine leichte Dünung plätscherte über den Kies der Uferböschung, sonst war nichts zu hören. Doch auf einmal hatte ich ein Stechen in der Nase wie von Ammoniak.
»Ja, wir sind nicht alleine«, sagte Mark. Er nahm das Gewehr von der Schulter und lud es durch. Das Klacken war so laut, dass sein Echo übers Wasser hallte.
Vorsichtig begannen wir, den Wald in Seenähe zu erkunden. Als die Sonne fast ganz hinter dem Horizont verschwunden war, entdeckten wir die Hütte. Inzwischen hatte es aufgehört zu schneien. Und das war unser Glück, denn so bemerkten wir die Spuren, die aus dem Wald zur offenen Tür führten.
Mark bedeutete mir und Jack, uns hinter einem Baum zu verstecken. Mit dem Gewehr im Anschlag ging er auf die Hütte zu.
Ich nahm mir rasch die Halskette mit dem Anhänger ab und reichte sie Jack. »In dieser Kapsel ist ein Stoff, gegen den Vampire allergisch sind. Nimm sie, bitte! Vielleicht beschützt sie dich.«
Jack zögerte.
»Jetzt nimm schon!«, zischte ich.
Etwas verstört nahm er meine Gabe an.
Es mochten vielleicht fünfzig Schritte bis zur Hütte sein. Unter dem lockeren Schnee lagen Kiefernnadeln und kleine Zweige, die knacksten, als Mark darauftrat. Er bewegte sich so geschmeidig wie möglich, als wäre er auf der Jagd. Rumpeln und Scheppern drang aus der Hütte, aber keine menschliche Stimme. Vielleicht war nur ein Bär eingedrungen und suchte drinnen nach Fressbarem? Das wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. Meine Nase wusste es besser: Der stechende Geruch, der in der Abendluft hing, war kein Tiergestank.
Ich musste einen Laut des Erschreckens von mir gegeben haben, denn auf einmal legte Jack seine Hand über meinen Mund. Mark wirbelte herum und funkelte mich böse an. Und dieser eine Moment der Unachtsamkeit wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden.
Denn plötzlich war da eine dunkle Gestalt neben Mark, ein Schatten in der Abenddämmerung, der sich gespenstisch schnell bewegte. Bevor Mark reagieren konnte, wurde er zu Boden gerissen, das Gewehr fiel ihm aus den Händen und die schwarze Gestalt warf sich auf ihn. Mark schlug mit dem Kopf hart auf.
Obwohl sie schwer wie Blei war, hatte Mark darauf bestanden, eine von Hanks Handlampen mitzunehmen. Ich riss den Rucksack auf, holte sie heraus, schaltete sie ei n – und erschrak beinahe zu Tode.
Charles Solomon war kaum noch als Mensch zu erkennen. Als Daron Arkassian mir am Abend im Cellar die Bilder von Solomons Pressekonferenz gezeigt hatte, war mir die Veränderung schon aufgefallen: das ausgezehrte Gesicht, die fieberglänzenden Augen. Nun aber erkannte ich, welchen Preis Lilith McCleerys Gefährte für seine Auferstehung von den Toten hatte bezahlen müssen.
Seine Gliedmaßen waren so dürr, dass sich die Gelenke wulstartig abzeichneten. Seine Haut spannte sich wie dünnes Pergament über Wangen und Schädel, und seine Zähne waren unnatürlich lang, so als hätte sich das Zahnfleisch zurückgezogen. Als ihn der Lichtstrahl traf, blickte er auf und funkelte mich wütend an.
Jack sprintete aus der Deckung und schnappte sich Marks heruntergefallenes Gewehr, riss es hoch und schoss. Der Knall war ohrenbetäubend. Doch wo Solomon gerade noch gestanden hatte, war nur noch Leere. Er war fort, verschwunden in der Nacht.
Jack drehte sich im Kreis, schwer atmend, die Waffe noch immer im Anschlag. Ich rannte zu Mark, in Panik, dass Solomon ihn getötet haben könnte. Doch ich konnte keine
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