Dark Inside (German Edition)
Es dauerte nicht lange, bis sie fündig wurde.
Die Nachricht lag auf dem Schreibtisch, beschwert mit einem Ring. Heath’ Schulring, um genau zu sein. Der blaue Stein sah in der Dunkelheit schwarz aus.
Sie nahm das Blatt Papier und faltete es auseinander.
15. Oktober
Liebe Mom, lieber Dad, liebe Clementine,
ich weiß nicht, ob Ihr diesen Brief je lesen werdet, aber ich bete, dass Ihr am Leben seid und es Euch allen gut geht. Wir haben uns in den letzten Wochen in der Uni versteckt und Aaron und ich haben beschlossen, an einen Ort zu gehen, der sicherer ist. Nachts gibt es immer wieder Überfälle. Die Wohnheime werden durchsucht, die Überlebenden getötet. Die meisten Studenten auf meiner Etage sind schon tot. Ich habe Glück gehabt.
Wir wollen nach Norden, nach Vancouver in Kanada. Wir haben CB-Funk gehört und dort haben sie gesagt, dass es in Vancouver sicher ist. Keine Ungeheuer. Die Uni dort nimmt Tausende von Flüchtlingen aus dem ganzen Land auf. Ich glaube es nicht, aber Aaron will es versuchen. Gemeinsam ist man stärker, oder?
Ich hoffe, es geht Euch gut, und wenn Ihr diesen Brief findet, hätte ich Euch gern mehr gesagt. Ich wünschte, ich könnte nach Osten gehen, aber ich glaube nicht, dass ich es lebend schaffen würde. Und die anderen wollten nicht mitkommen. Ich habe schon gefragt. Bitte haltet mich nicht für einen Feigling, aber allein komme ich nicht bis zu Euch. Deshalb gehe ich mit den anderen nach Norden.
Clementine, pass gut auf Dich auf! Manchmal kommt es mir tatsächlich so vor, als wärst Du bei mir und würdest mir etwas ins Ohr flüstern. Es hört sich verrückt an, aber ich glaube, ich habe ein bisschen was von Moms Intuition geerbt. Ich glaube fest daran, dass Ihr am Leben seid und es Euch gut geht. Ich denke an Euch.
Euer Heath
Sie musste so weinen, dass sie den Brief fast nicht zu Ende lesen konnte. Als sie fertig war, gab sie ihn Michael, nahm wieder Heath’ Sweatshirt in die Hand und trocknete sich damit das Gesicht ab. Es nützte nichts, wenn sie weinte. Dem Datum nach hatte Heath den Brief vor etwas über einer Woche geschrieben. Er hatte das Erdbeben und die ersten Überfälle lebend überstanden. Er war vielleicht noch nicht tot. Sie musste noch nicht um ihn trauern.
Sie musste ihn nur finden.
Michael gab ihr den Brief zurück. Clementine las ihn noch einmal, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Tasche. Dann nahm sie Heath’ Ring vom Schreibtisch und streifte ihn sich über den Mittelfinger. Er war ihr ein wenig zu groß, doch sie glaubte nicht, dass er ihr vom Finger rutschen würde.
Schließlich zog sie Heath’ Sweatshirt an. Los, Goblins!
»Ich gehe nach Vancouver«, sagte sie.
»Das habe ich mir schon fast gedacht.« Michael lächelte.
»Du musst nicht mitkommen.«
»Jetzt haben wir es schon so weit geschafft. Glaubst du wirklich, ich würde einfach so gehen? Auf dem Weg zurück würde ich mich vermutlich hoffnungslos verlaufen. Du wirst es schon noch mit mir aushalten müssen.«
NICHTS
Wir sterben alle allein.
Egal, wie viele Freunde wir haben. Egal, wie viele Spielzeuge wir besitzen. Egal, wie viele Lügen wir einander erzählen.
Wir gehen alle unter.
Wir sind alle zum Schweigen gebracht worden. Es gibt keine Geschichten mehr, die man erzählen kann, und niemanden mehr, der uns zuhört. Ich könnte diese Nachricht in eine Flasche stecken und ins Meer werfen, in der Hoffnung, dass sie irgendwann mal jemand findet. Ich müsste nicht einmal eine Geschichte schreiben. Alles, was ich brauche, sind sechs Ziffern.
Es gibt sechs verschiedene Arten von Mördern:
1. Die, die schnell und effizient töten.
2. Die, die es genießen, jeden Moment ihrer Tat in die Länge zu ziehen.
3. Die, die die Seele töten und ihre Opfer am Leben lassen.
4. Die, die unbeabsichtigt oder aus Notwehr töten.
5. Die, die jagen, um etwas zu essen zu haben.
6. Die, die aus Spaß jagen.
Bei den Hetzern gibt es alle Kategorien. Ich würde gern glauben, dass ich eine Eins oder eine Vier bin, aber eigentlich bin ich eher eine Sechs. Es hängt alles vom Tag ab.
Das Spiel beginnt.
Das Spiel ist aus.
So schnell.
Lust auf eine neue Runde?
Das Böse, das uns infiziert, ist schon immer da gewesen. Seit Anbeginn der Zeit, bevor es Namen gab, bevor es Schrift gab – sie haben schon immer existiert. Es gibt keine Aufzeichnungen über sie, weil sie keine Spuren hinterlassen. Wie soll man von etwas berichten, das man nicht sehen kann?
Es ist immer nach dem gleichen Muster
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