Dark Inside (German Edition)
einzige Andenken an ihre Mutter. Ihr einziges Familienerbstück.
»Da ist das Wohnheim«, rief er, während er auf die nordwestliche Ecke des Plans zeigte. »Wir können entweder den direkten Weg nehmen und damit mittendurch gehen oder vorsichtig sein und am Rand des Campus entlanglaufen.«
»Lass uns einfach direkt darauf zugehen«, erwiderte sie. »Es ist dunkel genug und ich mag nicht mehr so weit laufen.«
»Deine Entscheidung«, sagte Michael.
Als sie den Campus betraten, fiel Clementine auf, dass die Schäden hier bei Weitem nicht so groß waren wie im Rest der Stadt. Hoffnung stieg in ihr auf und sie versuchte, sie so weit wie möglich zu verdrängen.
Lieber Heath, ich gebe mir wirklich große Mühe, nicht zu aufgeregt zu sein. Vielleicht bist du ja gar nicht da. Vielleicht bist du tot. Meine Reise ist fast zu Ende. Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn du nicht da bist. Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, was sein wird, wenn ich dich nicht finden kann. Wohin werde ich dann gehen? Was wird passieren, wenn ich nicht mehr mit dir reden kann? Du hast mir auf dem Weg hierher so geholfen, auch wenn du das gar nicht weißt. Bitte sei nicht tot!
Als sie das Wohnheim erreichten, wäre sie um ein Haar wieder umgekehrt. Ihr Herz raste und ihre Handflächen waren ganz verschwitzt. Vor einem Jahr war es ihr genauso gegangen, als sie auf Craig Strathmore gewartet hatte, der sie zum ersten Mal zu einer Tanzveranstaltung in ihrer Schule abholen wollte.
»Du siehst aus, als würdest du dich gleich übergeben«, sagte Michael. »Willst du noch etwas warten? Wir müssen da nicht sofort reingehen. Es ist vermutlich klüger, wenn wir erst einmal ein paar Stunden hier draußen bleiben und das Wohnheim im Auge behalten. Da könnten jetzt alle möglichen Leute drin sein.«
»Nein«, sagte sie. »Ich muss jetzt gleich gehen, sonst verliere ich den Mut. Du kannst gern hier draußen bleiben, wenn du glaubst, es ist nicht sicher.«
»Ich habe nie gesagt, dass ich ein Feigling bin«, erwiderte er mit einem beruhigenden Grinsen.
Mercer Hall war alt und aus Ziegelsteinen gebaut. Das Gebäude zeichnete sich stumm und düster vor dem Nachthimmel ab. Die Eingangstür war zertrümmert und wurde von einem ramponierten Stuhl offen gehalten. Das war kein gutes Zeichen.
Clementine ging vorsichtig um den Stuhl herum und zuckte zusammen, als die Tür quietschte und ein Stück Glas aus dem Rahmen fiel. Doch es kam niemand aus der Ecke gestürmt, um sie anzugreifen. Keine Stimmen schallten ihnen entgegen. Sie schaltete ihre Taschenlampe ein und ein Kreis aus bleichem Licht fiel auf den Boden.
Die Verkaufsautomaten im Eingangsbereich waren aufgebrochen worden. Auf dem Boden lagen Münzen und zerbeulte Softdrink-Dosen, einige Schokoriegel, die jemand zertreten hatte, und leere Verpackungen. Michael hob eine Dose Cola auf, öffnete sie und trank einen Schluck.
Die Tür des Fahrstuhls war aufgestemmt worden und sie konnten die Kabel sehen, die in den dunklen Schacht nach unten führten. Als sie das Treppenhaus gefunden hatten, gingen sie in den zweiten Stock. Die Brandschutztür war mit blutigen Handabdrücken übersät, als hätte sich dort jemand in abstrakter Kunst versucht.
Als sie den zweiten Stock erreichten, konnten sie leise Musik hören, die aus einem der Zimmer auf der rechten Seite des Korridors kam. Das verhieß nichts Gutes. Michael legte einen Finger auf die Lippen und sie nickte, fast beleidigt, weil er dachte, sie würde den Namen ihres Bruders rufen. So dumm war sie nun auch wieder nicht.
Im Korridor lagen jede Menge umgekippte Stühle. Kleidung und andere persönlichen Gegenstände waren in großen Haufen auf dem Boden verteilt. Einige der Zimmertüren standen offen. Sie gingen den Korridor entlang nach links und entfernten sich von der Musik. Clementine zählte die Zimmernummern ab, bis sie Heath’ Zimmer erreicht hatten.
Die Tür stand sperrangelweit offen.
Plötzlich krampfte sich ihr der Magen zusammen. Aber sie war am Ziel. Sie würde sich sein Zimmer ansehen, selbst wenn es bedeutete, seine Leiche zu finden.
Michael nahm ihre Hand. Seine Finger waren warm und weich und sofort fühlte sie sich ein bisschen stärker. Clementine hielt die Luft an, schloss die Augen und betrat den Raum.
Als sie den Mut fand, die Augen aufzumachen, sah sie, dass das Zimmer leer war. Auf dem Bett lag das Sweatshirt mit dem Schriftzug der Glenmore-Highschool, daneben der braune Pullover, den Heath letztes Weihnachten von
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