Dark Inside (German Edition)
hören sollen«, flüsterte Craig ihr ins Ohr. »Es war toll. Sie hat so geschrien.«
Das war nicht Craig. Die Person, die sie festhielt, war nicht der Junge, den sie kannte. Vor zwei Monaten waren sie zusammen unterwegs gewesen und hatten einen Waschbären überfahren. Der Craig, mit dem sie aufgewachsen war, hatte den Wagen an den Straßenrand gelenkt und fast geweint. Er war zwar ein Footballstar, aber er liebte Tiere und ernährte sich vegetarisch. Der Junge, den sie kannte, hätte nie im Leben Spaß daran gehabt, ihr solche Angst einzujagen.
»Wer bist du?«, fragte sie. Seine Augen sahen irgendwie merkwürdig aus. Sie waren dunkler als sonst. Zuerst dachte sie, sie würde sich täuschen, weil in der Küche so wenig Licht war. Doch daran lag es nicht. Die Adern in seinen Augen waren schwarz.
»Ich bin Craig.«
»Nein, bist du nicht.«
»Ich bin der dunkelste Winkel seiner Seele. Ich bin alles, was er sein wollte, alles, was er sich ausgemalt hat, wenn niemand dabei war. Ich bin der echte Craig Strathmore. Ich bin seine Evolution. Sein wahres Ich.«
»Nein. Das … bist … du … nicht.« Sie hob den Fuß und rammte ihm ihre Ferse seitlich ans Bein. Craig stöhnte und lockerte seinen Griff gerade so weit, dass sie sich aus seiner Umarmung herauswinden konnte. Sie ließ sich auf den Boden fallen, streckte den Arm aus und griff sich den ersten Gegenstand, der ihr in die Finger kam. Es war zufällig der Briefbeschwerer ihrer Mutter, den sie immer benutzt hatte, um die Küchentür aufzuhalten. Clementine holte aus und schmetterte ihm die schwere Glaskugel gegen das Knie.
Vor Überraschung und Schmerz schrie Craig laut auf. Sie rappelte sich auf und wollte zur Tür rennen, doch er packte sie am Fußknöchel und riss sie zu Boden, sodass ihr Knie auf dem Linoleumboden aufschlug. Ihr Meniskus gab ein dumpfes Geräusch von sich, doch sie ignorierte den Schmerz und trat mit ihrem unverletzten Bein nach ihm. Er hob die Arme, um sein Gesicht zu schützen, und ließ sie für einen kurzen Moment los.
Clementine brauchte genau drei Sekunden, um ins Freie zu kommen. Mit dem Funkschlüssel entriegelte sie den Pick-up, dann riss sie die Fahrertür auf und warf sich auf den Sitz. Der Motor startete beim ersten Versuch, und bevor sie den Gang einlegte, schaltete sie das Licht ein.
Die Einfahrt zum Haus war voller Leute. Es waren mindestens ein Dutzend und sie standen vollkommen regungslos da und starrten in ihre Richtung. Sie erkannte Henry und James Tills, Sam Anselm und einige der anderen, die sie vorhin auf dem Parkplatz gesehen hatte. Ihre Kleidung war von Blut durchtränkt, das im Mondlicht schwarz glänzte.
Sie blockierten die Straße.
Craig Strathmore – oder der, der er jetzt war – stürzte aus dem Haus und kam schwer hinkend auf sie zu.
Clementine brauchte keine Straße, schließlich war sie auf einer Farm aufgewachsen. Nachdem sie den ersten Gang eingelegt hatte, trat sie das Gaspedal durch, riss das Steuer herum und fuhr direkt in die Maisfelder. Die Strecke war holprig, doch der Pick-up hatte nicht umsonst Allradantrieb.
Sie sah nicht in den Rückspiegel, um zu überprüfen, ob sie ihr folgten.
Quer durch die Maisfelder waren es etwa drei Kilometer bis zur Straße. Sie schaffte es in Rekordzeit. Die Reifen knirschten, als sie auf den Highway fuhr. Sie lenkte den Wagen in die Richtung, die von Glenmore wegführte.
Sie war schon eine Stunde gefahren, als sie den Pick-up an den Straßenrand lenkte und anhielt. Sie hatte kein einziges Fahrzeug gesehen.
Lieber Heath, hier gehen seltsame Dinge vor sich. Die Erdbeben waren schon schlimm genug, aber dann haben sie in den Nachrichten über die vielen Gewalttaten berichtet. Es ist überall so, stimmt’s? Egal, was es ist, sobald ich in Des Moines war, komme ich zu dir. Mom hat es so gewollt und ich werde ihr diesen letzten Wunsch erfüllen. Du solltest also besser nicht tot sein. Ich komme, so schnell ich kann. Und ich werde stinksauer sein, wenn du Seattle ohne mich verlässt. Lass mich nicht allein!
Clementine schaltete das Radio ein, konnte aber keinen Sender finden. Es war nur Rauschen zu hören. Zehn Minuten lang drehte sie an den Knöpfen herum und schließlich stieg sie sogar aus, um die Antenne zu überprüfen.
Es war, als wäre sie der letzte Mensch auf Erden.
MICHAEL
Er wachte auf, als die letzten Strahlen der Sonne auf sein Kissen fielen. Sein Körper war schweißgebadet, selbst die Haare hinter seinen Ohren waren nass. Er hatte nicht
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