Dark Kiss
brauchte Antworten. Echte Antworten. Im Crave blickte ich mich suchend nach Carly um. Wie versprochen saß sie mit Paul in einer Sitzecke. Er schaute sie über den Tisch hinweg an, als habe er gerade in der Lotterie gewonnen. Sie lachte über etwas, das er erzählte. Es wirkte, als hätten sie Spaß. Lass sie, dachte ich. Sie hatte versprochen, dass es kein romantisches Date war, bei dem es ums Küssen ging, und ich vertraute ihr. Er war in Sicherheit. Ich hatte andere Dinge zu erledigen.
Also nahm ich all meinen Mut zusammen und stieg die Wendeltreppe zur Lounge im zweiten Stock hinauf. Wie üblich hingen dort einige Grays herum – so vermutete ich jedenfalls. Ich betrachtete sie, versuchte herauszufinden, ob ich irgendjemanden aus der Schule erkannte, aber es war niemand darunter. Mir fiel jetzt auf, dass sie alle älter aussahen als ich – so etwa in Stephens Alter. Natalie hockte auf einer roten Couch in der hintersten Ecke, und Stephen lehnte neben ihr an der Glaswand. Ich ging auf sie zu und ignorierte mein Herzrasen.
„Samantha.“ Natalie begrüßte mich mit einem Lächeln. „Esfreut mich, dich wiederzusehen.“
„Was ist an mir so
Besonderes?“, fragte ich.
Sie zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Stephen, lass uns bitte allein.“
„Ja, klar.“ Stephen musterte mich misstrauisch und trabte zum anderen Ende der Lounge außer Hörweite.
Mein Herz klopfte wie wild, und mein Mund war wie ausgetrocknet. Um alles noch zu krönen, begann mein Magen jetzt auch noch zu knurren. Ich hatte vorgehabt, noch ein Stück Pizza aus dem Kühlschrank zu nehmen, bevor ich gegangen war, aber dazu war ich nicht mehr gekommen.
„Bitte, Samantha“, sagte Natalie. „Setzt dich hin. Mach es dir bequem.“
Ich blieb stehen. Ich wollte es mir nicht gemütlich machen. „Warum hast du mich ausgewählt? Warum hast du gerade mich beobachtet? Woher wusstest du von meinen Fähigkeiten? Wer bin ich? Wer bist du?“ Das waren die Gründe, wegen denen ich den Club wieder besuchte. Das musste ich jetzt herausfinden, jetzt, wo ich wusste, dass ich adoptiert war. Ich brauchte dringend noch ein weiteres Puzzleteilchen, das passte.
Sie lehnte sich nur ruhig in ihrem Sessel zurück und schaute mich an. „Das sind eine Menge Fragen.“
„Wir sehen uns sehr ähnlich“, sagte ich, als sie nicht gleich alle Informationen auf einem Silbertablett servierte.
„Ist das so?“
„Ich meine, wir haben dieselbe Haar- und Augenfarbe.“ Ich war schon dabei, an mir zu zweifeln. Dafür brauchte es nicht viel. „Ist das der Grund, warum ich dein Ziel war und du Stephen befohlen hast, mich zu küssen? Warum bist du dir so sicher, dass an mir etwas besonders ist? Im Augenblick fühle ich mich nicht als etwas Besonderes.“
„Wieso solltest du so etwas denken, Samantha?“
„Ich bin adoptiert. Ich habe seit heute Gewissheit. Ich stellenur Vermutungen an, würde ich sagen. Vielleicht habe ich unrecht. Ist es so?“ Meine Stimme versagte. „Sind wir miteinander verwandt?“
Natalie schlug ihre schlanken Beine übereinander. Ihre silbernen Stilettos glänzten im Scheinwerferlicht. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und löste in mir sowohl Zweifel als auch Wut aus.
„In dem Augenblick, als ich ankam, habe ich angefangen, nach dir zu suchen“, erklärte sie. „Ich wusste, dass du mich genauso brauchen würdest wie ich dich.“
Ich wartete mit angehaltenem Atem.
Sie hielt meinem Blick stand, bis sie schließlich wieder sprach. „Ich bin deine Tante, Samantha. Und ich bin die einzige Person auf der Welt, die dir etwas über deine echten Eltern erzählen kann.“
16. KAPITEL
D er Lärm des Clubs dröhnte in meinen Ohren, und in meinem Kopf drehte sich alles. Ich war mir sicher, dass jetzt auch noch das letzte bisschen Farbe aus meinem Gesicht gewichen war.
„Du bist … meine Tante?“, konnte ich nach einigen Sekunden Starre herausbringen.
„Das bin ich.“
Ich versuchte es zu verarbeiten, ohne ohnmächtig zu werden. Zwischen uns bestand eine Familienähnlichkeit. Das hatte ich auch vorher schon bemerkt, doch das hier war die Bestätigung, dass wir verwandt waren. „Aber du bist so jung.“ Ihre braunen Augen, die meinen so ähnelten, begannen rot zu leuchten.
„Dämonen behalten die Gestalt, mit der sie als Menschen gestorben sind.“ Ihre Lippen zuckten. „Du hast schon erraten, dass ich ein Dämon bin, oder?“
Mein Mund war so trocken, dass ich kaum sprechen konnte. „Ich hatte da so eine Ahnung.“
„Nur du?
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