Dark Kiss
Stöhnen hörte. Endlich war der Engel aufgewacht. Erleichterung durchströmte mich, denn jede Minute, die er dort gelegen hatte, ließ in mir die Angst wachsen, dass er in Sachen Dolch vielleicht die große Ausnahme war. Seine Augenlider flatterten, und er stützte sich auf die Ellenbogen.
„Ich würde das nicht gerade als Spaß bezeichnen, aber es ist sehr effektiv“, sagte er. Ohne darüber nachzudenken oder zu fürchten, dass er genauso reagieren würde wie Roth, ging ich zu ihm und half ihm auf die Beine. Ich suchte auf seiner Brust nach Blut und einem Riss in seinem Shirt, doch die Verletzung war komplett verheilt. „Wie fühlst du dich?“, fragte ich ihn.
„Durchlöchert, aber heil.“
Bishop kam näher, um selbst noch einmal einen Blick auf den neuen Engel zu werfen. „Ich bin Bishop.“
„Ja, sie haben mir alles über dich erzählt, bevor ich aufbrach. Außerdem alles über den Dolch hier, was allerdings nichts gebracht hat, weil ich alles inklusive meines Namens vergessen habe. „Ich bin Connor.“ Er sah zu mir herüber. „Und du bist?“
„Samantha.“
Connor blickte Bishop an. „Dir ist schon klar, dass sie eine Gray ist, oder?“
„Ja, aber sie ist anders als die anderen, also bleib ruhig. Ohne sie hätten wir dich nicht finden können. Sie kann die Lichtsäulen sehen und wir nicht.“
„Cool.“ Er wirkte immer noch ein bisschen skeptisch, nachdem er erkannt hatte, dass ich eins der Monster war. „Du hast also Superkräfte?“
Ich versuchte zu lächeln. „Ich kann auch deine Gedanken lesen, wenn ich will. Und dir einen Stromschlag versetzen, wenn du nicht nett zu mir bist.“
Connor neigte den Kopf zur Seite, während er mich musterte. „Hm. Klingt ein bisschen nach einem Nexus.“ Mir stockte der Atem, und ich versuchte, meine Mimik zu kontrollieren. Das war ein Geheimnis, das ich niemandem offenbaren wollte.
„Klar doch“, erwiderte Bishop mit einem amüsierten Grinsen. „Die Tochter eines Engels und eines Dämons steht direkt vor uns. Ich denke, so etwas hätte ich schon bemerkt.“
„Es war nur eine Vermutung.“ Connor zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht.“ Langsam wich das Grinsen aus Bishops Gesicht, und er schauderte, als würde er die Möglichkeit noch einmal überdenken. Als er wieder sprach, war ich sehr erleichtert darüber, dass er sich an Connor wandte. „Ich hörte, wir wären nur zu viert. Du bist der Fünfte.“
„Ich komme immer zu spät zur Party. Sorry. Du kannst mich mit einem Dolch in der Brust dafür bestrafen.“ Er rieb die Stelle über seinem Herzen. „Oh, warte: Das hast du ja schon.“
„Wie lange bist du schon hier?“
Connor kratzte sich am Kopf. „Ein paar Tage. Ist das eine Stadt, in der man Spaß haben kann? Ich bin schon seit einer Weile urlaubsreif.“
„Das hier ist kein Urlaub.“
Connor klopfte ihm auf die Schulter. „Sarkasmus, mein Freund. Das ist mein Ding. Gewöhn dich dran. Also, stellt ihr mich den anderen vor oder was?“
Bishop warf ihm einen Seitenblick zu. „Oh, sie werden dich lieben.“
Zu dritt gingen wir schweigend zurück zur St.-Andrews-Kirche, abgesehen von ein paar belanglosen Kommentaren von Connor. Mir war klar, wer ab jetzt der Gruppenclown sein würde, und ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Allein die Tatsache, dass er kein Dämon war, gefiel mir schon. Er hatte ins Blaue geraten und gleich auf den Punkt gebracht, was ich war. Das machte mir Angst. Ich fühlte mich so zerbrechlich wie ein Glas an der Tischkante, das jeden Augenblick herunterfallen und zerbrechen konnte. Meine Gefühle waren nur schwer zu kontrollieren, allerdings musste ich genau das tun. Ich konnte mich jetzt nicht gehen lassen. Diesen Gray zu sehen – den Beweis, von dem ich hoffte, dass er nicht existierte –, hatte mich zutiefst verängstigt. Ich hatte glauben wollen, dass alle Grays wie ich waren. Dass sie wie ich dachten, ihrem Hunger nicht nachgeben und niemanden verletzen wollten. Aber das Bild von Carly vorhin im Crave mit Paul verfolgte mich. Sie schien nicht zu bemerken, wie schlimm es war und was es mit ihr anstellen konnte. Doch sie hatte auch nicht miterlebt, was ich nun wusste. Natalie hatte mir erzählt, dass es einem Menschen nicht schaden würde, seine Seele zu verlieren, sondern ihn befreien würde. War auch das eine Lüge gewesen? Sagte mir irgendjemand in dieser verdammten Stadt die Wahrheit? Bei dem Gedanken schnürte es mir die Kehle zu. Am besten würde ich im Moment gar nichts dazu sagen,
Weitere Kostenlose Bücher