Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Habel
Vom Netzwerk:
Straßenrand.« Von den Haustüren ringsum starrten uns die Leute an. Ich packte Ebenezers leeren Ärmel und führte ihn zu einem nahe gelegenen Hutladen. Ich hörte Türen schlagen und noch mehr Schreie. »Helfen Sie uns! Irgendjemand, helfen Sie uns! Er ist verletzt!«
    »Sie hat mich gebissen !«, keuchte er mit vor Angst versagender Stimme. »Und sie hat es gegessen !«
    Ich blieb stehen, alle Muskeln froren mitten in der Bewegung ein, auch mein Herz. Langsam senkte ich den Blick auf Ebenezers Arm. Er schluchzte weiter, dass jemand ein Stück von ihm gegessen hätte, einfach abgebissen und heruntergeschluckt …
    Da war Blut. Viel Blut. Und an seinem Unterarm fehlte ein Stück.
    Mein Sonnenschirm fiel klappernd zu Boden. Ich ließ seinen Mantel los und schlug die Hände vor den Mund.
    Und dann sah ich sie.
    Sie kam die Straße hinaufgestolpert, eine junge Frau mit kupfernem Haar. Ihre Haut hatte die Farbe vermodernden Reisigs angenommen und ihre Augen waren gelb angelaufen. Ein tiefes, endloses Stöhnen entwich ihrer Kehle. Sie lief auf einem gebrochenen Fuß, der am Knöchel abgeknickt und nutzlos war. Der Anblick hätte erheiternd wirken können, wäre er nicht so schrecklich gewesen und hätte ich nicht genau gespürt, dass hier irgendetwas furchtbar falsch lief.
    Auch Ebenezer sah sie und begann zu schreien. Er rannte los und das Blut spritzte hinter ihm auf den Asphalt. Ich hörte noch mehr Menschen kreischen, unter ihnen auch meine Mutter, aber ich stand da wie angewurzelt.
    Das richtete die Krankheit also an. Die Geschichten waren wahr.
    Die Schreie lockten die Kranke an und plötzlich rannte sie pfeilschnell genau auf mich zu. Sie prallte gegen mich, bevor ich auch nur daran denken konnte, wegzurennen, warf mich zu Boden und ihre Zähne schnappten nach meinem Kopf. Sie war wie ein tollwütiger Hund.
    Jetzt schrie auch ich vor Schmerz und Angst und versuchte, sie an den Schultern zu packen und ihre Zähne von mir fernzuhalten. Von irgendeiner unerklärlichen Wut angetrieben, entwickelte sie schier übermenschliche Kräfte. Blindlings kämpfte ich weiter, das Adrenalin rauschte durch meine Adern und in meinem Verstand war nur noch Platz für Entsetzen und rasende Gedankenfetzen.
    Dann fiel mein Blick auf den Sonnenschirm und ich riskierte es.
    Mit einer Hand ließ ich von ihr ab, packte ihn und begann, auf sie einzuschlagen. Ich wusste nicht, ob ich ihr überhaupt Schmerzen zufügte, aber die Schläge lenkten sie ab, sodass sie jetzt den Sonnenschirm statt mich attackierte. Ich schaffte es, sie so weit zurückzudrängen, dass ich mich unter ihr hervorwinden konnte. Keuchend hielt ich den Sonnenschirm erhoben wie einen Baseballschläger.
    Sie stürzte sich auf mich und ich schlug zu, so fest ich konnte. Das hielt sie zwar auf Abstand, aber egal wie hart ich zuschlug, der Schirm war einfach nicht schwer genug, um sie ernsthaft zu verletzen. Ich versuchte, vor ihr davonzulaufen, aber sie war so schnell, dass sie es schaffte, wie vorhin meine Mutter mein Kleid zu packen. So musste ich mich ihr wieder stellen. Schon bald hatte sie mich an einer Hauswand in die Enge getrieben wie eine hilflose Beute. Während ich beobachtete, wie sie geduckt und fauchend näher kam, begriff ich, dass ich sterben würde.
    Was mich in diesem Moment überkam, werde ich niemals verstehen. Ich kann nicht erklären, welcher Teil meines Gehirns plötzlich die Kontrolle übernahm. Vielleicht war Nora ja tot und es war ihr Geist, der mir zurief, was ich zu tun hatte.
    In einem letzten verzweifelten Versuch, mein Leben zu retten, streckte ich den Sonnenschirm wie einen Speer vor mich und als sie sprang, warf ich mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen.
    Ob nun aus schierem Glück, durch den Willen des Universums oder die Führung von Noras Geisterhand – als die Frau sich auf mich stürzte, drang das metallgespickte Lämpchen an der Spitze des Schirms direkt durch eines ihrer Augen. Ich brüllte wie die Krieger längst vergangener Tage, wie die tobenden Punks in Noras albernen Hologrammen und stieß meine improvisierte Waffe noch tiefer hinein.
    Ich hörte ein Übelkeit erregendes Knirschen.
    Sie brach zusammen und zuckte zu meinen Füßen.
    Ich ließ den Schirm los und stolperte zitternd zur Seite. Meine Arme und Beine fühlten sich an wie Pudding. Ich sah auf. Von den Fenstern und aus den Türen gafften mich Menschen an. Ich hörte schnelle Schritte und dann stand Michael da, keine drei Meter von mir entfernt, und starrte mich an, als

Weitere Kostenlose Bücher