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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Habel
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mehr geatmet. Ich wusste es genau. Ich hatte auch zuvor schon Tote gesehen, stille Körper auf Familienbegräbnissen. Sie war tot gewesen.
    »Pamela!«
    Ich sah zur Tür. Dort standen meine Eltern.
    Das Horrorszenario vor meinen Augen verlor an Bedeutung. Ich fiel auf den schmutzigen Zementboden, als die Bahre an mir vorbeigeschoben wurde, meine Brust hob und senkte sich schwer und ich fühlte eine so tiefe Erleichterung, dass es fast wehtat.

    Nachdem die Formalitäten erledigt waren und man mich freigelassen hatte, brachten meine Eltern mich zu einer Mietkutsche. Die Straßen waren vollgestopft mit Menschenmassen. Sie hatten kein einziges Wort zu mir gesagt und mich nur berührt, um mich in die richtige Richtung zu führen. Ihre Gesichter waren ernst und angespannt.
    Die Kutsche fuhr nicht an, nachdem wir eingestiegen waren. Ich saß auf der einen Seite, meine Eltern auf der anderen. Sie betrachteten mich, wie man eine Statue oder irgendein Ausstellungsstück im Museum betrachtete. Wie ein interessantes lebloses Ding. Nicht wie ein Lebewesen.
    »Es tut mir leid«, begann ich schließlich mit belegter Stimme.
    In den Augen meiner Mutter schimmerten Tränen und so wusste ich, dass irgendwo in ihr Gefühle waren. Doch das Gesicht meines Vaters blieb steinern und unnahbar. Es war mir so fremd.
    Ich begann, mich wirklich zu fürchten.
    »Mr.   Culham, dein von der Stadt gestellter Rechtsbeistand, hat uns erklärt, dass keine Anklage gegen dich erhoben wird. Dass es Notwehr war«, sagte mein Vater.
    Ich nickte und holte zittrig Luft.
    »Nach Weihnachten schicken wir dich für eine Weile zu deiner Tante und deinem Onkel aufs Land. Ihr Baby wird bald kommen und sie können Hilfe im Haus gebrauchen. Du kannst bei ihnen bleiben, bis du mit der Schule fertig bist.«
    Wieder stiegen mir Tränen in die Augen. »Was?«
    Meine Mutter begann zu weinen und zog ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. »O mein Gott, Pamela, warum? Warum bist du bloß auf die Straße gerannt?«
    »Mr.   Coughlin war verletzt!«
    »Und jetzt ist er tot.« Mein Vater spreizte die Finger über seinem Knie und sah zum Fenster. »Tot. Was hat es also gebracht, deiner Mutter nicht zu gehorchen, hm?« Er lachte, es klang merkwürdig und ich mochte das Geräusch nicht. »Ich habe versucht, gute Kinder großzuziehen.«
    »Liebster, sie ist …«
    »Ich habe versucht, gute Kinder großzuziehen, gottesfürchtige Kinder!« Jetzt brüllte er.
    »Ich wollte niemanden umbringen!«, weinte ich. »Sie hat mich angegriffen!«
    »Und da hast du ihr mit einem Sonnenschirm den Kopf durchbohrt ?!« Er schlug gegen das Kabinendach. »Du hättest sie außer Gefecht setzen, sie bewusstlos schlagen können! Du hättest wegrennen können! Die ganze Straße redet über dich!«
    »Es tut mir leid !«
    »Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten. Niemals.« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und ich fühlte, wie eine Träne meine Wange hinabrollte. Isambard hatte recht gehabt. Sie erwarteten, dass ich etwas Großes leistete, dass ich selbst groß wurde und es in der Welt zu etwas brachte. Jeden Fingerbreit, der mir jemals vergönnt war, hatte man mir nur deshalb zugebilligt, weil ich ein gutes folgsames Mädchen gewesen war; weil sie gewusst hatten, dass ich züchtig und bescheiden sein und nur die Hälfte annehmen würde.
    Und jetzt war ich kein gutes Mädchen mehr.
    Ich sammelte so viel Luft in meinen Lungen, wie ich konnte. »Wir müssen gehen. Wir alle«, brachte ich stockend heraus.
    Mein Vater drückte auf den Knopf, der dem Fahrer das Signal zum Losfahren gab, und schüttelte den Kopf. »Es wurde keine Evakuierung angeordnet.«
    Ich sah hinaus. Menschen rannten durch die Straßen. Die Läden hatten geschlossen, leichter Schnee wehte an ihren dunklen Schaufenstern vorüber. »Muss man dir das erst befehlen ?«, fragte ich. Dad warf mir einen warnenden Blick zu und ich schloss den Mund.
    »Sie würden uns informieren, wenn wir fortmüssten«, erklärte meine Mutter. Sie klang nicht wie sie selbst. Ihre Stimme war dünn und verzagt, als hätte jemand ihre Stimmbänder durch trockenes Schilf ersetzt. »Sie haben uns sogar davor gewarnt, die Stadt zu verlassen, weil es auf dem Land keine ausreichende medizinische Versorgung gibt.«
    Wir rollten eine Weile dahin, bis ich verstand. »Sie wollen nicht, dass wir die Seuche verbreiten«, platzte ich heraus.
    »Sei still, Pamela«, entgegnete mein Vater. »Kein Wort mehr davon. Wenn wir nach Hause kommen, gehst du hoch

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