Dark Love
zu lassen. Dann drehte er sich wieder um und ging mit unsicheren, schwankenden Schritten ins Haus zurück.
Meine Finger schlossen sich fester um den Schieberahmen, während die andere Hand von meiner Brust hinauf zur Kehle glitt. Er sah krank aus.
Er hat es auch.
Doch dann begann ich, diesen Gedanken infrage zu stellen. Ich war so müde. Sah ich denn inzwischen schon überall Anzeichen für die Krankheit? Wir kannten die Delgados nicht gut. Vielleicht war er ja immer so blass und vielleicht lief er auch immer so merkwürdig. Ich hatte ihn immer nur hinter seinem Marktstand stehen sehen. Genau wusste ich es also nicht.
Seine Frau empfing ihn an der Tür. Zögerte sie? War sie nervös? Sie war zu weit entfernt. Ich konnte es nicht erkennen.
Hastig schloss ich das Fenster und lehnte meine Stirn gegen das eiskalte Glas. Ich musste aufhören, an die Seuche zu denken. Ich musste überhaupt aufhören nachzudenken.
Mein zweites Verbrechen in ebenso vielen Tagen war der Diebstahl des Schlüssels für den Alkoholschrank meines Vaters. Ich nahm mir eine Flasche Wein und flog damit die Treppe beinah wieder hinauf. Seit den letzten Ferien wusste ich aus Erfahrung, dass ich nur ein paar Schlucke nehmen musste, um auf der Stelle einzuschlafen. Ich musste mich nicht einmal betrinken.
Trotzdem spielte ich kurz mit dem Gedanken.
»Wie oft willst du die Sache mit dem Fressen eigentlich noch erwähnen?«, fragte Nora.
»So etwa einmal pro Stunde bis zu dem Tag, an dem ich endgültig auseinanderfalle«, antwortete Tom und schwang seine Machete.
»Du brauchst dringend ein neues Hobby.«
Ich lachte leise. Es war Vormittag und wir schlugen uns durch hohes trockenes Gras. Nora blieb dicht bei mir. Sie hatte darauf bestanden mitzukommen, nachdem Wolfe seine Befehle erteilt hatte und dann wieder verschwunden war. Es war nicht gerade eine besonders wichtige Mission, aber Nora brauchte anscheinend dringend etwas Ablenkung.
Und Tom hatte natürlich jede sich bietende Gelegenheit wahrgenommen, um Scherze über »unser Lunchpaket« und »Großwildjagden« zu reißen, und allmählich zehrte es an ihren Nerven.
»Lass stecken, Tom«, rief ich ihm zu, doch dann traf mich ein böser Blick von Nora, der mir ohne jeden Zweifel klarmachte, dass sie das selbst regeln wollte. Ich rollte die Schultern. »Oder auch nicht.«
»Achte nicht auf ihn«, meinte Chas und rückte ihren Schlapphut gerade. »Er hält sich hier nur für den Obermacker, weil …«
Jetzt warf ich wiederum Chas einen warnenden Blick zu. Sie klappte den Mund zu.
»Weil was?«, hakte Nora nach.
»Nichts.« Ich blieb stehen und deutete mit meiner Klinge auf ein gedrungenes Gebäude etwa hundert Meter vor uns. »Da ist es. Das ist Nummer drei, glaube ich.«
Man hatte uns mit der kühnen und bedeutungsschweren Aufgabe betraut … eines der Elektrizitätswerke wieder in Gang zu bringen. Der Stützpunkt wurde von drei Biodieselkraftwerken gespeist, in denen Algen und diverse genetisch veränderte kleine Viecher biologischen Müll in Treibstoff umwandelten. Eigentlich war ein Team von Lebenden dafür verantwortlich, aber das Team war nur sehr klein und zurzeit waren wir nun mal zufällig näher bei Tank drei als sie.
»Da wären wir also«, erklärte ich Nora. »Jetzt müssen wir uns nur noch durch das Sperrfeuer unserer Feinde schlagen, um endlich …«
»Ich weiß, ich weiß, den Sicherungsschalter umzulegen.« Sie verschwand beinahe in dem hohen Gras. »Ich wollte einfach nicht … allein dortbleiben, okay?«
»Schon verstanden.«
Nora blieb stehen, während meine Freunde sich raschelnd weiter in Richtung Tank vorkämpften. Sobald sie sich etwas entfernt hatten, murmelte sie mir zu: »Ich weiß, dass die anderen mir etwas verheimlichen, und wenn ich jetzt auf dem Stützpunkt hocken müsste, während alle einen auf stumm machen, würde ich bestimmt irgendwann mit allem um mich werfen, was nicht niet- und nagelfest ist. Ich hasse es, wenn man etwas vor mir versteckt.«
»Sie verheimlichen etwas?« Ich versuchte, ganz unbeschwert zu klingen.
Sie nickte und wandte ihr Gesicht der Sonne zu. »Ich habe gehört, wie sich ein paar der Wissenschaftler über die Position des Stützpunktes unterhalten haben, so als wäre es wichtig. Und egal, wo ich seit gestern hingehe, überall verstummen plötzlich alle, oder sie verdrücken sich einfach. Ich besuche ein Mädcheninternat, ich weiß, was das bedeutet.«
Ich war nervös, aber ich riskierte es. »Was, glaubst du, könnte es
Weitere Kostenlose Bücher