Dark Love
waren mehrere lautlos gestellte Fernseher aufgebaut. Ihr Flimmern verstärkte die allgemeine Hektik nur noch.
Die Mehrheit der Frauen in der feuchtkalten Gemeinschaftszelle, in die man mich gebracht hatte, waren Betrunkene oder Stadtstreicherinnen. Bekannte Unruhestifterinnen, die hier entweder ihren Rausch ausschliefen oder sich einfach zusammenrollten und darauf warteten, wieder entlassen zu werden. Für sie war das alles Routine. Ich hatte noch kein Wort mit ihnen gesprochen. Ich wollte nichts mit ihnen zu tun haben. Einigen wenigen der Frauen war es wie mir ergangen und sie waren während der Unruhen aufgegriffen worden. Sie wollten unbedingt ihre Geschichte erzählen. Aber ich wollte sie nicht hören. Ich wollte nicht zu einer Welt gehören, in der solche Dinge passierten, ich wollte nicht daran erinnert werden, was ich jetzt war . Ich wollte nicht daran denken, dass die Menschen dort draußen um ihr Leben kämpfen mussten, oder daran, wie schnell sich die Krankheit ausbreitete.
Ich hatte schreckliche Angst vor den Kranken, doch was mich noch mehr entsetzte, war ich selbst.
Stunden verstrichen und noch immer sagte mir niemand, wie meine Anklage lauten würde oder wann ich damit rechnen konnte. Es war auch nicht die Rede von einem Kautionsantrag. Ich fragte mich, ob für mich überhaupt Kaution gestellt werden durfte. Falls ja, würde es eine Weile dauern, bis meine Eltern das Geld zusammengekratzt hätten.
Also versuchte ich, geduldig zu sein. Ich versuchte, einfach alles auszublenden. Ich konnte nicht sagen, wie viele Polizisten es hier gab. Ich wusste nicht mehr, wie oft schon eine der Wachen an die Tür gekommen war, um Holzschüsseln mit zerkochtem Gemüse und Blechtassen voll Wasser zu verteilen. Ich aß nichts und trank kaum. Jedes Mal, wenn eine neue Gefangene in die Zelle gestoßen wurde, legte ich die Arme um den Kopf und drückte mich in eine dunkle Ecke, so weit wie nur möglich von den flackernden Lichtern und der aufgebrachten Menge vor der Gittertür entfernt.
Schon war ein ganzer Tag verstrichen und ich bekam allmählich Angst, meine Eltern würden mich einfach verstoßen und hier auf dem Revier sitzen lassen. Es war eine greifbare, heiße, körperliche Angst, die mit jeder Stunde schlimmer wurde. Der betäubende Nebel, in den ich mich zurückgezogen hatte, löste sich plötzlich auf. Ich tat Dinge, die ich mir niemals hätte vorstellen können, dumme Dinge. Ich stampfte wie ein wütendes Kind mit den Füßen, weil es keine Absperrung zwischen mir und den Menschen gab, die stetig kamen und gingen, immer wieder kamen und gingen. Es machte mich wahnsinnig, dass ich mich nicht von ihnen abschirmen konnte. Ich fühlte mich ausgeliefert, verletzlich und schrecklich allein. Ich wünschte mir, sie würden mich ins Gefängnis bringen, mir meine eigene Zelle in einer langen Reihe von Zellen zuweisen, um mich dort verrotten zu lassen.
Als sie schließlich das Mädchen mit dem aschefarbenen Haar in die Zelle brachten, war ich ein nervliches Wrack.
Das Mädchen war etwa in meinem Alter, sie hatte eine gebrochene Nase und war abgemagert. Ihre Haut war mit merkwürdigen schwarzen Punkten übersät. In Embryonalstellung kauerte sie sich hustend auf einer Bank zusammen.
Ich begriff, dass sie infiziert war.
»Officer … Officer?«, rief ich und drückte mich gegen die rostigen Gitterstäbe. Meine Stimme erschien mir fremd. Es dauerte eine Weile, aber schließlich näherte sich einer der Polizisten. Es war ein sommersprossiger junger Mann mit straßenköterblondem Haar und einem Muttermal auf dem Kinn.
»Gibt es ein Problem?« Er sprach mit lauter, energischer Stimme, konnte seine Unsicherheit jedoch trotzdem nicht dahinter verbergen.
»Bitte, Officer …« Ich sah das Mädchen an. Ich starrte so lange zu ihr, bis ich sicher war, dass der Polizist meinem Blick folgte. »Ich glaube, sie ist krank. Ich glaube, sie hat sich mit der Seuche infiziert.« Als ich mich ihm wieder zuwandte, ging er schon wieder den Gang hinunter. Ich packte die Gitterstäbe noch fester. »Officer, bitte!«
»Setzen Sie sich und seien Sie still!«, brüllte er mir zu. Seine Sommersprossen hoben sich von seiner Haut ab wie Steine von einem weißen Sandstrand, so bleich war er geworden. Ich unterdrückte das Schluchzen, das in meiner Kehle aufstieg.
» Bitte! « Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich jemals so verzweifelt betteln könnte oder müsste. Als ich erkannte, dass er sich nicht umdrehen würde, fiel ich auf
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