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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Habel
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Traditionelles und Bedeutungsvolles, für das man sich schick machen musste. Es war perfekt. Fast schon genial.
    Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass mir beinahe entgangen wäre, dass Dearlys Tür einen Spaltbreit offen stand. Glücklicherweise ließ jedoch der Teil meines Gehirns, der stets in höchster Alarmbereitschaft war – der Jäger in mir –, die Sirenen schrillen.
    Nora hätte die Tür nicht offen gelassen.
    Die antrainierten Mechanismen übernahmen das Ruder und ich zog mich leise an die Wand zurück. Langsam steckte ich die Zahnbürste in meine Tasche und bemerkte, dass meine Bewegungen ungelenk und unkoordiniert waren. Ich verbot mir jeden angstvollen Gedanken. Wahrscheinlich gab es überhaupt keinen Grund zur Beunruhigung. Vielleicht war einfach jemand hereingekommen, nachdem sie zu Bett gegangen war, und hatte beim Hinausgehen vergessen, die Tür wieder zu schließen. Nichts Besonderes.
    Ich näherte mich ganz langsam der Tür und lauschte auf ein Lebenszeichen. Da war nichts. Der gesamte Medizintrakt war wie ausgestorben, die Lichter abgedunkelt. Ein rautenförmiger Putzroboter fuhr auf seiner vorprogrammierten Bahn über die Fliesen vor und zurück, aber das war die einzige Bewegung, die ich wahrnahm.
    Normalerweise vermied ich, was ich jetzt tat, weil ich mir dabei weniger menschlich vorkam. Ich witterte in die Luft. Sofort entspannte ich mich. Ich konnte sie riechen, ihren einzigartigen Duft nach sauberer Haut und gewaschenem Haar. Kein Blut. Ich erreichte die Tür und schob sie noch etwas weiter auf.
    Nora war am Schreibtisch ihres Vaters eingeschlafen. Ihr Atem ging ruhig. Leise ließ ich die Tür noch weiter aufschwingen, trat hindurch und näherte mich ihr. Ihre Wange lag auf einem Stapel Papiere, weil sie über ihrer Arbeit eingenickt war. In ihrer tintenbefleckten Hand hielt sie einen Füllfederhalter. Ich beugte mich über sie, um einen Blick zu riskieren. Das oberste Blatt war mit Ziffern und Namen beschrieben, die mir völlig willkürlich erschienen. Sie schien ihr Gedächtnis nach allem durchforstet zu haben, das Teil des Passwortes sein könnte. Der Computerbildschirm leuchtete und wartete noch immer geduldig auf das richtige Passwort. Ich vergrub die Hände in den Taschen und betrachtete sie eine Weile lang. Es wunderte mich, welches Vergnügen es mir bereitete, sie einfach nur anzusehen. Sie musste nicht einmal irgendetwas tun. Nach ein paar Minuten jedoch schlich ich schließlich in das Schlafzimmer ihres Vaters und holte eine Decke, die ich um sie legte. Ich schloss die Tür hinter mir und machte mich wieder auf den Weg zu Chas’ Zimmer.
    Dort konnte ich so laut sein, wie ich nur wollte. »Chas, wach auf«, rief ich und trommelte kräftig gegen die Tür.
    Ich hörte ein Rumpeln und Toms fluchende Stimme, bevor sich die Tür einen Spalt weit öffnete und Chas hinauslugte. »Wasnlos?«
    Ich seufzte. »Chas, es ist schon sieben. Warum bist du noch nicht aufgestanden?«
    Sie starrte mich an, als hätte ich gerade Swahili gesprochen.
    »Okay. Egal. Ich brauche ein Kleid für Nora.«
    »Hat sie keine mehr?«
    »Ich brauche ein hübsches Kleid. Wie ein … ein …« Ich gestikulierte, deutete auf meine Schultern und versuchte irgendwie, ihr zu vermitteln, welche Art Kleid ich wollte. Ich war ein Farmjunge, was wusste ich denn schon, Herrgott noch mal?
    Chas blinzelte mich trübe an, schien aber endlich zu begreifen. Sie öffnete die Tür und ließ mich herein. Zusätzlich zu dem üblichen Chaos lag noch ein menschenförmiges Knäuel unter ihrer Bettdecke – Tom. Ich ignorierte ihn. Gemeinsames Schlafen verstieß gegen die Regeln, aber alles, was sie nachts in einem gemeinsamen Bett tun konnten, war, sich Gesellschaft zu leisten, und das konnte ich ihnen einfach nicht verbieten.
    »Wie ein Ballkleid?«, fragte sie, während sie zum Schrank hinüberschlurfte und ihn öffnete.
    »Nein, nicht für einen Ball. Wie ein … Kirchenkleid?«
    »Hä?« Chas wirkte ratlos.
    »Frag nicht, such einfach nach etwas in der Art.«
    Sie zog ein paar Stücke heraus, betrachtete sie prüfend und stopfte sie wieder zurück. Fünf Minuten später hielt sie mir zwei Kleider hin. Ein hellrotes mit Chiffonblumen an den Schultern und ein rosafarbenes mit schwarzen Streifen.
    »Rosa, glaube ich, aber … hast du vielleicht auch ein Kleid, das bei dir eher eng sitzt?«
    Chas verlor die Geduld. »Eng sitzt?«
    »Ja, du weißt schon …« Ich rollte mit den Augen und deutete auf meine Brust. »Obenrum. Sie

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