Dark Love
hinausgeschlüpft und …« Er verstummte, sein Blick war fest auf mich gerichtet. Ich vollendete den Satz stumm. Er hatte nicht nach ihr suchen können, nicht so, wie er aussah. Es hätte einen Aufruhr verursacht.
Noch während ich die nächste Frage stellte, wich ich einen weiteren Schritt zurück. »Ist mit Mrs. Delgado alles in Ordnung? Und mit … Tata?«
Er presste die geschwärzten Lippen aufeinander, bevor er antwortete. »Mrs. Delgado geht es … gut.« Ich verstand darunter, dass auch sie krank war. »Ihr Großvater ist …« Er drückte seine Tochter noch fester an sich und ich begriff, dass ihr Großvater tot war. »Sie ist daran gewöhnt, dass er manchmal zu viel trinkt«, ergänzte er, offensichtlich entschlossen, bei dieser Erklärung zu bleiben, bis Jenny sie nicht mehr akzeptierte – und vielleicht noch ein wenig länger.
Noch nie hatte ich solches Mitleid für jemanden empfunden. Sie waren nicht verrückt. Sie versuchten weiterzumachen, so gut sie konnten. Und doch war ihr bloßer Anblick genug, um mich und meinen Vater noch einen weiteren Schritt zurückweichen zu lassen. Ich wollte helfen, ich wollte ihnen meine Hand entgegenstrecken, aber all meine Instinkte trieben mich von ihnen weg. Ich fühlte mich irgendwo dazwischen gefangen.
Mr. Delgado sah zu, wie wir uns entfernten. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Zorn, nur Resignation. »Wenn Sie irgendetwas hören … würden Sie … wenn Sie können, würden Sie es uns wissen lassen? Wir haben keinen Strom mehr und …«
»Ja, Sir«, sagte ich ohne Zögern. Das wenigstens konnte ich tun.
»Danke«, sagte er noch einmal und schloss die Tür.
Mein Vater nahm mich am Arm und zog mich in Richtung unseres Hauses, zum zweiten Mal an nur einem Abend. Er bebte. »Wenn du so etwas noch einmal tust, bist du von da an auf dich allein gestellt. Hast du verstanden?«
»Ja, Vater«, antwortete ich. Als wir die Stufen zu unserer eigenen Haustür erklommen, sah ich zu ihm auf. »Danke.«
Mein Vater lächelte nicht, er nickte nicht einmal. Doch er sah mir in die Augen und in seinem Blick erhaschte ich einen Funken seines vertrauten Ichs, ein Aufleuchten des Vaters, der mich geliebt und »Schatz« genannt hatte und den ich durch meinen Mord getötet hatte.
Es gab ihn noch, irgendwo.
Nachdem an diesem Abend alle zu Bett gegangen waren, zündete ich eine Kerze an und setzte mich in die Mitte meines Zimmers auf den Boden. Ich starrte in die Flamme und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Ich war noch immer etwas mitgenommen von unserem Lauf durch die Stadt und dem Besuch in der Halperin Street. Ich fror an den Armen und rieb mit den Händen darüber, um sie aufzuwärmen. Nie wieder wollte ich so etwas tun müssen, besonders nicht bei Nacht. Ich hatte mich vollkommen schutzlos gefühlt dort draußen, wie leichte Beute.
Selbst jetzt fühlte ich mich noch nicht sicher, nicht einmal in meinem eigenen Bett. Ich konnte nicht schlafen. Ich wollte mich verstecken vor der Welt, die hinter unserer Haustür lag.
Verstecken.
Wir könnten uns verstecken.
Schnell nahm ich wieder Abstand von dieser Idee, bevor sie mich zu sehr vereinnahmte. Dann untersuchte ich sie systematisch nach Schwachstellen. Wir müssten Vorräte mitnehmen, weil unsicher war, wann wir das Versteck wieder verlassen konnten. Aber wenn wir uns einen guten Ort aussuchten, dann würden die Infizierten uns vielleicht nicht finden. Wenn wir uns ein paar Tage verbargen, eine Woche vielleicht, hätte die Welt Zeit, wieder zur Ruhe zu kommen. Wir müssten nicht durch die Straßen oder die offene Landschaft fliehen. Schließlich hatten wir keinerlei Transportmittel und wenn mehr und mehr Menschen die Stadt verließen, konnte man bald schon vermutlich nicht einmal mehr eine Handkarre auftreiben.
Die Reporter skandierten doch ununterbrochen, dass das Militär die Quarantäne im Griff hatte. Was, wenn sie recht hatten? Dann mussten wir einfach nur abwarten.
Aber wie konnte ich meine Familie überzeugen, mit mir zu kommen? Wie konnte ich es ihnen erklären?
Diese Fragen zu beantworten konnte dauern.
Bevor ich schlafen ging, unternahm ich wieder einen nächtlichen Ausflug nach unten, um ein paar Schlucke aus einer der Weinflaschen meines Vaters zu nehmen. Ich schlang die Arme um meinen Körper, lehnte mich gegen das Schränkchen und versuchte, den schalen Alkoholgeschmack loszuwerden. Nur für einen Moment gestattete ich mir, der lähmenden Furcht nachzugeben, die darauf lauerte, mich ganz und
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