Dark Love
gar zu verschlingen. Ich tat es, weil ich wusste, dass bald eine Zeit kommen würde, in der ich ihr keinerlei Beachtung mehr schenken durfte.
Ich musste meine Familie dazu bringen, sich zu verstecken, bevor es uns erging wie den Delgados.
Ich hatte nicht einmal an Weihnachten gedacht, bevor Nora es erwähnt hatte. Doch seither konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich hatte nichts, was ich ihr schenken konnte. Schließlich konnte ich nicht mal eben eine Eislaufparty oder einen Ausflug in die Stadt organisieren. Ich war wirklich nicht gut in dieser »Ich mag dich wirklich sehr und möchte dir das durch erhöhte Aufmerksamkeit und den kreativen Einsatz meiner verfügbaren Mittel demonstrieren«-Sache.
Ich musste es mir endlich eingestehen. Ich mochte sie. Ich mochte sie sogar sehr . Sie war klug, mutig und hübsch und sie sah mich inzwischen auch nicht mehr als einen Dämon in Menschenkleidern.
Dearly würde mir glatt an die Kehle gehen. Natürlich nur, wenn Wolfe ihm nicht zuvorkam.
Als ich an diesem Abend schlafen ging, besuchte mich der Geist der vergangenen Weihnacht. Seit meinem Tod hatten sich meine Träume verändert. Ich habe nie nachgefragt, ob es auch den anderen so ging. Früher hatte ich in Farbe geträumt, jetzt war alles schwarz und weiß. Die Träume liefen ab wie hastig hintereinander geschnittene Filmszenen. Die einzelnen Bilder rauschten ohne jeden Zusammenhang vorüber wie unterschwellige Werbespots. Holzschuhe. Tante Ednas mehlbestäubte Schürze. Sterbende Männer – bedien dich einfach am Buffet. Nein?
Wir hatten nie viel Geld gehabt, aber Mum versuchte trotzdem, den Mädchen an Weihnachten kleine Geschenke zu machen. Normalerweise war es ein neues Paar handgestrickter Strümpfe, die sie mit selbstgemachten Karamellbonbons und Früchten füllte. Manchmal, wenn es ein gutes Jahr gewesen war, legte sie auch eine Kupfer- oder Silbermünze dazu.
Die Größe der Geschenke war für die Mädchen vollkommen unwichtig. Allein die Tatsache, dass es überhaupt Geschenke gab, machte sie ganz aufgeregt. Den ganzen Dezember über waren sie gespannt wie kleine Sprungfedern. Am Weihnachtsmorgen war es dann mit ihrer Beherrschung vorbei und sie hüpften ungebremst auf meinem Bett und mir herum, bis ich wach war. Dabei versuchten sie möglichst leise zu sein und flüsterten nur, um Mum im Nebenzimmer nicht zu wecken.
»Aufwachen! Aufwachen, Bram! Der Weihnachtsmann war da! Der Weihnachtsmann auf seinem Dampfschlitten und den Rentierrobotern!«
»Ich hab ihn letzte Nacht gehört!«
»Hast du gar nicht!«
»Hab ich wohl!«
»Ich auch«, hörte ich mich in meiner Erinnerung murmeln, während ich einen Arm über die Augen legte. »Ich hab ihn auch gehört. Emily hat recht.«
»Siehst du!«
»Dann könnt ihr den Dampfschlitten jetzt ja mal malen, hm?«, schlug ich in dem Versuch vor, mir noch ein paar Minuten Schlaf zu erschleichen. Sofort gingen sie wieder auf mich los, weil sie mit meiner Antwort nicht zufrieden waren. Die richtige wäre gewesen: » Dann können wir ja jetzt sofort die Geschenke auspacken, hm?«
Mein Gehirn schaltete um, die Traumbilder flackerten und die Präsenz vor meinem inneren Auge wurde zu Nora. Mit Nase und Wange stupste sie gegen meinen Arm. Ich legte ihn um sie, öffnete die Augen und zog sie an mich. Sie lächelte.
Ich fuhr hoch, den Bruchteil einer Sekunde, bevor mein Wecker zu läuten begann. Das nervenzerfetzende Klingeln steigerte meinen Schrecken noch. Schnell speicherte ich die letzte Szene unter »Dinge, die ich, so es denn möglich ist, nie, nie wieder träumen sollte«. Solche Bilder verursachten mir nicht nur Schuldgefühle, mein Körper konnte außerdem rein gar nichts damit anfangen. Für so etwas brauchte man einen Puls.
Ich stieg schnell unter die Dusche, bevor mich diese ganze Sache zu sehr deprimieren konnte, und wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Weihnachtsproblem zu. Ich wollte immer noch etwas für sie tun. Nichts Aufregendes, schließlich hatte sie im Moment genug Aufregung. Etwas Schönes, vielleicht etwas, das sie an ihr Zuhause erinnerte.
Noch während ich mir die Zähne putzte, öffnete ich die Schranktüren.
Mein Blick fiel auf meine Paradeuniform.
Ich schluckte Zahnpastaschaum, warf ein paar Kleider über, stieß die Tür auf und rannte den Gang hinunter, weil ich plötzlich eine klare Idee im Kopf hatte. Ich steuerte den Medizintrakt an, kaute an meiner Zahnbürste und betrachtete meine Idee von allen Seiten. Ja. Es war etwas
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