Dark Love
und eine Nachricht erschien auf dem Bildschirm. »Die Verbindung wurde getrennt.«
Ich wollte schreien. Bram lehnte sich gegen die Tischplatte. »Noch mal«, sagte er.
Renfield blickte zu mir auf, ich nickte und legte die Hände über die Ohrhörer. »Noch mal.«
Und wir versuchten es noch mal. Komm schon, Handy. Mach schon.
Bitte, Pam.
Nimm ab.
Ich ließ sie Weihnachten feiern.
Mein Geschenk hatte ich ja bereits bekommen (und inzwischen wieder ruiniert) und ich war meiner Familie fremd geworden, also gesellte ich mich nicht zu ihnen. Ich war weder hungrig noch durstig, nicht einmal müde. Ich fragte mich, wie lange dieser Zustand wohl anhalten würde. Ich fühlte mich, wie sich wohl eine Nonne fühlen musste, die nach langem und intensivem Gebet wieder aus der Trance erwachte. Ich war berauscht von meiner Entschlossenheit.
Ich wartete das Abendessen ab, und als ich hörte, dass sie sich im Wohnzimmer versammelt hatten, warf ich einen letzten Blick auf meine Bogenschieß-Auszeichnungen und ging in Issys Zimmer.
Es war in maskulineren Farben gehalten und penibel aufgeräumt. Ich durchwühlte alles, bis ich gefunden hatte, wonach ich suchte. Ich verteilte den Inhalt seines Kleiderschranks auf dem Boden und riss alles Mögliche aus seiner Kommode. Ich würde später aufräumen, wenn ich dann noch lebte.
Ich zog mir eine Leinenhose, ein Kragenhemd und eine seiner alten, kleineren Westen an. Mein Haar band ich zu einem Knoten zusammen. Es war ein ungewohntes Gefühl, sich in Hosen zu bewegen, doch dann sagte ich mir, dass jetzt wirklich nicht die Zeit für Verlegenheit war. Dann schnallte ich mir meinen Bogen um und atmete tief durch.
Ich stieg die Treppe zum Wohnzimmer nach unten.
»Man sollte doch annehmen, dass sie den Strom inzwischen wieder in Gang gekriegt hätten«, beschwerte sich Isambard. »Oder dass sie wenigstens die Stadtschreier ausschicken.«
»Für die Stadtschreier ist es auf den Straßen wohl zu gefährlich«, entgegnete mein Vater.
»Und wie sollen wir dann irgendwelche Neuigkeiten erfahren?«
» Wenn es denn etwas Neues gäbe, würden sie schon einen Weg finden, uns die Informationen zukommen zu lassen«, sagte meine Mutter. Diesen Satz nahm ich als Einleitung und betrat das Wohnzimmer. »Darüber sollten wir sprechen, Mutter.«
Mum sah von ihrem Leihbuch auf. »Was in aller Welt?« Mein Vater entzündete gerade die Kerzen am Baum. Er legte das Feuerzeug beiseite und wollte schon auf mich zugehen, doch dann überlegte er es sich offensichtlich anders und blieb, wo er war.
Issy starrte mich mit großen Augen an. »Sind das meine Sachen?«
»Hört mir zu, ihr alle«, sagte ich. Mein Körper war von einer rastlosen Energie erfüllt. Das hier waren meine ersten wackeligen Gehversuche als Anführerin. Die ganze Szene vermittelte beinahe das Gefühl eines Schauspiels, doch ich wusste, dass es tödlicher Ernst war.
»Pamela, was ist los?«
»Vieles.« Ich betrachtete nacheinander die Mitglieder meiner Familie und hielt ihren Blicken stand, bis sie wegsahen. »Da ihr anscheinend nicht in der Lage seid, die Dinge klarzusehen, nehme ich an, dass mir eine besondere Gabe mit auf den Weg gegeben wurde. Jeanne d’Arc hat man schließlich auch erst mal für verrückt gehalten.«
Mein Vater versuchte, mich zu unterbrechen. »Pamela.«
Ich deutete direkt durch ihn hindurch zum Fenster. »Die Straßen sind voller kranker und sterbender Menschen. Die Seuche, die dafür verantwortlich ist, bringt ihre Opfer offensichtlich dazu, andere anzugreifen und sie zu fressen .« Ich legte die Hand an meine Schläfe. »Begreift ihr das überhaupt? Seht ihr es einfach nicht? Oder wartet ihr vielleicht darauf, dass der Fernseher angeht und irgendein Moderatorenkopf euch die Erlaubnis erteilt, in Panik zu geraten?«
»Pamela«, wiederholte mein Vater, »beruhige dich. Panik nützt niemandem.«
»Dort draußen sind Kannibalen, Vater!«
»Dein Vater hat recht!«, unterbrach meine Mutter mich. »Außerdem, wohin sollten wir denn gehen? Wer weiß schon, ob diejenigen, die die Stadt verlassen haben, in Sicherheit sind? Vielleicht gibt es draußen auf dem Land noch mehr Kranke! Wenn es etwas gäbe, das wir tun könnten , würde man es uns schon sagen!«
»Ich habe mir überlegt, was wir tun können.« Ich sah auf meine Hände hinab. Sie zitterten unkoordiniert. »Wir müssen uns verstecken. Und ich glaube, ich weiß auch, wo.«
Dad trat einen Schritt auf mich zu. »Komm, komm, ganz langsam …«
»Hast du eine
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