Dark Love
bessere Idee, Vater?« Ich hob die Stimme, nur ganz leicht. »Dann würde ich sie gerne hören.«
»Ja!« Seine Hände ballten sich zu Fäusten und auch er gestikulierte in Richtung Fenster. »Meine Idee, so verrückt sie sich auch anhören mag, ist, die Situation denjenigen zu überlassen, die für solche Fälle ausgebildet wurden! Wenn sich alle plötzlich in Marodeure verwandeln, bricht in der Stadt Chaos aus! Was ist nur in dich gefahren?«
»Hier geht es nicht darum, wer zum Marodeur wird und wer nicht.« Meine Stimme schwankte. »Hier geht es ums Überleben.«
»Im Moment geht es uns gut! Wir sind hier sicherer als die meisten anderen!«
Ich wollte es nicht tun. Ich war verängstigt und verzweifelt und ich wollte es nicht tun.
Doch mir blieb keine Wahl.
»Ihr seid meine Familie . Ich liebe euch. Aber vergesst nicht, dass ich eine Waffe auf dem Rücken trage. Wenn es sein muss, zwinge ich euch, mit mir zu kommen, weil ich euch liebe .« Ich griff über die Schulter, als wolle ich den Bogen lösen.
In genau diesem Moment kam meine Familie zu dem Schluss, dass ich endgültig jeden Bezug zur Realität verloren hatte. Ich konnte es in ihren Gesichtern sehen, während sie mich weiter anstarrten. Ich war darauf vorbereitet. Es war mir egal, ob sie mich für verrückt hielten.
Es war mir egal, ob sie mich hassten oder um mich trauerten, solange sie nur lebten und es deshalb noch konnten.
»Pamela.« Die Stimme meiner Mutter bebte. Bei diesem Klang hätte ich beinahe nachgegeben. Fast hätte ich mich ihr zu Füßen geworfen und um Vergebung gefleht. Es ist schrecklich zu hören, wenn die Stimme der eigenen Mutter klingt wie die eines fassungslosen Kindes.
Fast hätte ich nachgegeben, doch ich tat es nicht.
Bevor ich noch etwas sagen konnte, ging der Strom wieder an. Ich zuckte leicht zusammen. Der Bildschirm an der Wand flackerte zornig, bevor er ein Signal empfing.
Der Mann, der erschien, war ein bekannter Reporter. Sein dunkles Haar war strähnig und verfilzt. Es war eine Übertragung von den Toren der Elysischen Gefilde. Der Kameramann hatte Probleme, das Bild ruhig zu halten, und es war nicht leicht, irgendetwas zu erkennen. Wir alle schienen vergessen zu haben, wo wir waren und worüber wir uns gestritten hatten. Unsere Blicke hingen wie gebannt an dem erschrockenen Gesicht auf dem Fernsehschirm.
»Sie sind durchgebrochen! Die Infizierten sind überall! Was zur Hölle? Zurück, Mann! Wir müssen uns zurückziehen! Hier ist Marcus Maripose. Wir berichten live von den Elysischen Gefilden, wo …«
Der Ton brach ab und wir konnten nur noch das Bild sehen. All die Kranken, die aus dem Torhaus schlurften, krabbelten oder auch rannten. Der Kameramann schaffte es, die geborstenen Tore im Bild einzufangen, und ich fühlte mich plötzlich, als hätte jemand mein Innerstes nach außen gekehrt.
Es waren so viele . Eine Wand aus Kranken, die gegen die Tore drückte, bis sie barsten. Es war, als sähe man ein Knäuel aus Ameisen auf einer Flutwelle treiben, ein einziges Gewirr aus Gliedmaßen und Körperteilen.
»Mein Gott«, flüsterte mein Vater.
»Ich glaube nicht, dass er gerade zuhört«, entgegnete ich, die Augen noch immer auf dieses schreckliche Bild gerichtet. »Wir müssen gehen. Sofort .«
»Aber wohin?«, fragte meine Mutter hilflos. Endlich.
»Zur Kathedrale«, sagte ich und enthüllte damit meinen Plan, an dem ich seit dem vergangenen Abend gefeilt hatte. »Das Gebäude war einmal eine Bank. Es gibt noch immer zwei Tresorräume, einen hinter dem Altar und einen zweiten im Keller, wo sie die Sonntagsschule abhalten. Ich erinnere mich noch, dass uns dort einmal ein Priester erklärt hat, die Tresorwände bestünden aus einem halben Meter solidem Stahl.«
»Aber sie werden niemals zulassen, dass wir uns dort verstecken«, widersprach Isambard.
Mum stand auf. »Es muss noch eine andere Möglichkeit geben. Vielleicht lassen sie uns …«
Ich deutete auf den Fernseher. »Schau dir an, wie viele es schon von ihnen gibt! Schau dir an, was man uns verheimlicht hat! Willst du hier sitzen bleiben und warten, bis die Regierung den Notstand ausruft? Oder stehst du endlich auf, packst ein paar Vorräte zusammen und kommst mit mir?«
»Wenn wir uns im Tresor einschließen, haben wir keine Möglichkeit mehr, zu erfahren, was draußen vor sich geht«, warf mein Vater ein. Endlich folgte er zumindest ansatzweise meinen Gedankengängen.
»Aber einen anderen Platz gibt es nicht«, sagte ich. »Mir fällt
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