Dark Love
einer Zombievermehrung auf Papier, um zu ermitteln, wie lange es dauern würde, ein Dorf, eine Kleinstadt oder eine ganze Metropole zu infizieren. Ich war mir nicht ganz sicher, ob er das tat, um einen solchen Ausbruch zu verhindern oder um ihn selbst auszulösen.
An Heiligabend richtete er völlig unvermutet wieder das Wort an mich.
»Hat Ihre Tochter sich auch infiziert?«, fragte er aus heiterem Himmel. Das Licht der Öllampen beschien ihn von hinten, sodass seine Silhouette mit der des Stuhls verschmolz, auf dem er saß.
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Er lachte grob. »Umso besser.« Averne nahm einen tiefen Zug aus der Flasche. »Meine schon. Und mein Sohn. Und meine Frau.«
»Das tut mir leid.«
»Nein, tut es nicht.« Er setzte die Flasche ab. »Sie wollten schließlich genau das. Aber was Sie verstehen müssen, ist, dass sich Ihre Tat nicht nach aufrichtiger Kriegsführung anfühlt. Das, was Sie getan haben, ist wie ein persönlicher Fluch . Als ich mit meinen Männern die Frontlinien verließ und nach Hause zurückkehrte, nur um mich gezwungen zu sehen, meine eigene Familie zu töten, da fühlte es sich an, als hätten Sie persönlich zum Schlag gegen mich ausgeholt und mein Leben in eine Hölle verwandelt.«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. »Ich glaube nicht, dass das eine sehr rationale Sichtweise ist, Major.«
»Ich habe die Rationalität schon lange aufgegeben.« Er ließ die Hände in seinem Umhang verschwinden. »Jetzt möchte ich nur noch lebend aus der Sache herauskommen. Sie haben ja gesehen, was mit meinen Männern passiert ist.«
»Sie selbst haben Ihren Männern das angetan.«
Averne hustete. »Es ging alles so schnell. Ja, am Anfang haben wir uns verhalten wie törichte Schuljungen, vor allem ich. Es war eine Möglichkeit, sich dieser Sache zu stellen. Als taste man mit einem Stock in einem verdächtigen Schlammloch im Dschungel herum, um die Angst davor zu verlieren. Aber ich wollte nie, dass all das passiert. Dass meine Männer sterben. Und hier bin ich nun … noch nicht tot, verletzbar, aber trotzdem nicht …« Er zupfte an seinem Schal herum. »Wer war es doch gleich, der sagte: ›Gebt einem Mann eine Maske und er wird die Wahrheit sprechen‹? Tragen Sie eine Maske, Doktor? Akzeptieren Sie Ihr neues Gesicht? Ihre Totenmaske?«
Ich tauschte einen Blick mit Henry. »Ich akzeptiere sie«, antwortete ich dann. »Und ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt.«
»Nein, das haben Sie nicht.« Averne setzte die Flasche wieder an. »Aber das spielt keine Rolle. Wenn ich den Impfstoff erst in Händen halte, habe ich alle Beweise, die ich brauche. Es ist genau, wie Wolfe gesagt hat. Dann kann ich in Ehre zu meinen Leuten zurückkehren. Und vielleicht lebt dann sogar die alte antiviktorianische Haltung wieder auf.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber zumindest werde ich die Gelegenheit bekommen, Sie und Ihre Tochter zu töten. Ich denke, ich werde das Mädchen zuerst umbringen, damit Sie Gelegenheit haben, Ihr eigenes Kind sterben zu sehen. So wie ich es musste.«
Ich versuchte nach Kräften, nicht an meine Tochter oder an meine Freunde auf dem Stützpunkt zu denken. Ich wusste, wenn ich meinen Gedanken erlaubte, zu weit in diese Richtung vorzustoßen, würde Verzweiflung auch den letzten Rest meiner Entschlossenheit zerstören.
Averne trank weiter.
Am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages packte Henry eine sich bietende Gelegenheit beim Schopfe. Es war noch dunkel, als wir von einem gewaltigen Krachen aus dem Schlaf gerissen wurden. Ich schlug die Augen auf und sah Averne, der seinen Schreibtisch umgestoßen und damit sämtliche Karten und Blaupausen auf dem Salzboden verteilt hatte. Ich alarmierte Henry mit einer Berührung, weil ich das Gefühl hatte, wir müssten uns für mehr als seinen üblichen Wahnsinn wappnen.
Averne steuerte seine Funkausrüstung an. Als ich erkannte, dass er sie benutzen wollte, war ich mir einen Moment lang völlig sicher, einen Heiligenschein um ihn erstrahlen zu sehen. Es war so weit. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie Henry die Beine anwinkelte, um sich aufzurichten.
Averne griff in die Falten seines Schals und zog ein kleines, mehrfach gefaltetes Stück Papier hervor. In seiner Hast zerriss er es beim Auffalten beinahe. Als er es geschafft hatte, hielt er eine der Öllampen darüber, um lesen zu können, was darauf stand, um dann verschiedene Einstellungen an dem Funkgerät vorzunehmen.
»Wolfe«,
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