Dark Love
lederne Weste. Außerdem schnappte ich mir auch noch ein Hemd für Issy.
Ich zog mich in den Besuchertoiletten um und schrubbte mich noch einmal ab, dieses Mal mit der Rosenseife aus dem Spender. Ich hatte kein Blut geschmeckt und auch keines eingeatmet. Ich überprüfte meine Haut auf Schnitte, fand aber keine. Mit etwas Glück war mir tatsächlich nichts passiert. Krank fühlte ich mich jedenfalls nicht. Isambard sah blass aus und er schwitzte, doch bei allem, was er durchgemacht hatte, war das zu erwarten. Ich versuchte, mir nichts dabei zu denken.
Endlich schafften wir es in den dritten Stock. Am Ende der Treppe war eine fünfhundert Jahre alte Corpus-Uhr aufgebaut. Sie war eines der wenigen Dinge, die die Briten noch von ihrer Insel hatten retten können, bevor sie für immer in den Fluten verschwand. Die Sekunden flogen darauf vorbei, gemessen in blauen Lichtzeichen. Ein gigantischer Grashüpfer, der auf der Uhr saß, öffnete seinen Kiefer bei jeder Sekunde, um sie dann zu verschlucken.
Essenszeit. Wie passend.
»Das habe ich gemeint«, sagte Vespertine, als wir die Waffenhalle betraten und mit der Suche begannen. Sie deutete auf eine Vitrine. Darin lag eine Waffe mit einem Lauf, der noch etwas breiter war als der eines großen Gewehrs. Sie war mit Lederriemen ausgestattet, damit man sie sich an den Arm binden konnte. Was noch mehr überzeugte, war die Tatsache, dass direkt daneben eine Kiste voller Schwarzpulver und mehrere Bleikugeln ausgestellt waren.
»Eine ›Ein-Mann-Kanone‹«, las Vespertine von dem Schildchen an der Vitrine ab. »›Prototyp eines Offensivgeschützes mit eindeutigem Punkdesign. Ein gutes Beispiel für den schwindenden Einfluss viktorianischer Ästhetik auf den Punkstil der Spätphase, demonstriert an den Gravuren auf dem Lauf‹, blablabla, geben Sie mir die Axt.«
Ich reichte sie ihr und sie zerschlug das Glas. Als Nächstes bekam Michael sie, der in der nächsten Vitrine ein paar Donnerbüchsen samt Munition entdeckt hatte.
»Pam«, rief Isambard und deutete auf eine weitere Vitrine. Darin lag ein mit Messing und Gold verziertes Gerät. Ein Gehäuse fehlte und man konnte eine Art plumpes Uhrwerk erkennen, eindeutige Punktechnik.
»Es ist eine automatische Armbrust«, sagte er mit Blick auf das Schildchen. »Feuert bis zu fünf Bolzen auf einmal ab.«
Mehr musste ich nicht wissen. Ich schob ihn zur Seite und hob die Axt vom Boden auf, wo Michael sie liegen gelassen hatte. Ich zertrümmerte das Glas und nahm die Armbrust mitsamt einem Köcher voller Pfeile heraus.
»Ich versuche es mal«, sagte Michael und zielte auf die Treppe. Wir wichen zurück und ich konnte nicht anders, als den Anblick zu bewundern, den er in diesem Moment bot. Er hatte den Hemdkragen gelockert, die Jacke hing ihm offen über die Schultern und sein Haar war zerzaust. So stand er da und zielte tapfer auf einen unsichtbaren Feind.
Leider funktionierte die Waffe nicht.
»Verdammt!« Er sah sie mit gefurchter Stirn an. »Jetzt Sie, Miss Mink. Ich versuche es noch mit ein paar anderen aus der Vitrine.«
»In Ordnung«, sagte Vespertine, als er sich zurückzog. Isambard half ihr, die Kanone an ihrem Arm zu befestigen, und sie fuhrwerkte eine Weile daran herum, bis sie herausfand, dass sie an der Rückseite immer nur eine einzelne Kugel einlegen konnte. Sie baute alles zusammen, doch die Waffe funktionierte nicht. Wütend zog sie den Abzug, wieder und wieder.
Auch Michael hatte kein Glück. Er warf eine weitere nutzlose Donnerbüchse zurück in die Vitrine. »Was denn, haben sie hier die Angewohnheit, völlig funktionstüchtige Waffen erst mal kaputt zu machen, bevor man sie ausstellt? Aber warum sollten sie so was tun?«
»Das ist vielleicht eine Sicherheitsfrage.« Ich lud die Armbrust mit einem der altertümlichen Pfeile und zielte auf die Treppe. Mit einem Zischen wurde der Pfeil abgefeuert und verschwand in der Dunkelheit. »Die funktioniert. Hier, Miss Mink. Ich habe schon einen Bogen. Nehmen Sie diese hier.«
Als ich ihr die Armbrust übergab, erhob Isambard die Stimme. »Ich habe etwas gehört.«
Ich wandte mich zu ihm um und sah, dass er starr Richtung Treppe blickte. Ich lauschte. Zuerst sah und hörte ich nichts Ungewöhnliches, doch dann bemerkte ich, dass der schwache Lichtschein, der aus dem zweiten Stock empordrang, schwach flackerte, als würden sich Gestalten hindurchbewegen.
»Sie sind durchgebrochen«, flüsterte ich. Issy gab einen schwachen, angsterfüllten Laut von
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