Dark Love
Seite. Er strich mir übers Haar, küsste mich, versprach mir die Welt. Es ließ mich kalt. Ich bemerkte es gar nicht. Seine wiedergekehrte Liebe kümmerte mich nicht – nicht so, wie sie es hätte tun sollen.
Ich hatte ihn so schrecklich vermisst und jetzt war er mir wiedergeschenkt worden, nur um ignoriert zu werden – ein Spielzeug, um das ein kleines Mädchen gebettelt hatte, nur um es dann in einer Ecke ihres Schrankes zu vergessen.
»Wir müssen an Informationen kommen«, entschied Samedi am fünften Tag. »Wir müssen wissen, was vor sich geht, sonst werden wir noch alle verrückt.«
»Lasst uns den Funk abhören«, schlug Beryl vor. »Lasst es uns einfach tun. Wenn sie dann unser Signal bis hierher ins Nirgendwo zurückverfolgen, dann überschätzen sie eindeutig unsere Wichtigkeit. Und wenn sie uns dann auch noch finden , dann verdienen wir es vielleicht, erwischt zu werden.« Und so erfuhren wir schließlich, dass doch noch nicht alles verloren war.
Aloysius Ayles war seines Amtes als Premierminister enthoben worden. Anscheinend hatte man ihn dabei ertappt, wie er seinen baufälligen Vater aus der Stadt schmuggeln wollte, nachdem offenkundig geworden war, dass unsere Soldaten jeden Untoten eliminierten, den sie finden konnten. Beide Männer waren entkommen und es fehlte noch immer jede Spur von ihnen. Der stellvertretende Premierminister war tot.
Verfassungsgerecht war der Posten des Premierministers an den Lordkanzler des Parlaments übergegangen. Er war ein eleganter, silberhaariger Mann namens Esteban Alba. Wir sahen ihn in den Nachrichten, als er auftrat, um sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Neben ihm saß seine tote Frau. Sie war eine Schönheit mit hohen Wangenknochen und ohne sichtbare Wunden. Allerdings durchzogen tiefe, trockene Falten ihr Gesicht.
»Während wir noch versuchen, die Details zu klären«, sagte er, »und während inzwischen zweifellos feststeht, dass eine gewaltige Vertuschungsaktion im Gange war, sind nun doch einige Fakten zutage getreten, die ich für sehr ermutigend halte. Einer dieser Fakten sitzt hier neben mir. Einige der Toten sind noch immer sehr … lebendig.«
Er war offenbar kein besonders begabter Redner. Es war deutlich, dass er vor der Sendung keine Ansprache vorbereitet hatte. Er gestikulierte mit den Händen auf der Suche nach den Worten, die ausdrücken konnten, was er zu sagen versuchte. »Sie sind noch immer … sie selbst. Sie stehen zweifellos neuen Herausforderungen gegenüber, aber … das tun wir alle. Warum sollten wir die Infizierten bestrafen, die keinerlei Anzeichen von Gewalttätigkeit gezeigt haben? Und so bitte ich das Parlament um die Verfügung, alle Zombies, die fraglos bei Verstand und vernunftbegabt sind, weiterexistieren zu lassen. Ich weiß, dass viele sich verstecken. Bis zu diesem Moment hat auch meine Frau sich versteckt gehalten. Mein Sohn tut es noch immer.« Er strich über die gelbliche Hand seiner Frau. »Und ich würde es mit einer ganzen Armee von Lebenden aufnehmen, um nur noch einen weiteren Augenblick mit ihr zusammen sein zu dürfen. Das gebe ich unumwunden zu. Wenn das bedeutet, dass nun auch ich meines Amtes enthoben werde, dann soll es so sein.«
Ich war also nicht allein.
Samedi saß neben mir. Er klopfte mir auf die Schulter.
»Wir könnten Kontakt zu ihm aufnehmen«, sagte Dad. »Selbst wenn er abgesetzt werden sollte, ist er doch ein Verbündeter.«
»Ja«, bestätigte Chas’ Mutter Silvia. Sie war eine kleine, füllige Lady mit muskatnussfarbener Haut. Der Tod hatte ihren dunklen Augen einen schrecklichen Ausdruck des Hungers verliehen, doch sie schien ein sanftes Wesen zu haben. Sie saß im Rollstuhl, sprach kaum und schien meist zufrieden damit, allein ihren Gedanken nachzuhängen.
Später an diesem Tag sah ich, wie die Leichen der Zombies brannten, die man in New London bereits umgebracht und zu riesigen Scheiterhaufen aufgetürmt hatte. Der Qualm schien die Sonne selbst zu verdunkeln. Für sie würde es kein Begräbnis geben. Keine Totenwache.
»Ich will zurück zum Stützpunkt Z «, sagte ich, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. »Nur ganz kurz. Ich will die Basis noch einmal sehen.«
»Ich werde mit ihr gehen«, bot sich Beryl an.
Dieses Mal widersprach niemand.
Am nächsten Tag taten wir es. Wir nahmen uns einen der kleinen Motorwagen, mit dem zuvor die Ausrüstungsstücke zum Transportplatz gebracht worden waren. Wir waren beide bewaffnet.
Verlassen und still lag der Stützpunkt da.
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