DARK MISSION - Fegefeuer
einwickeln, indem er Samt trug. Er hatte ihn bereits mit Lügen eingewickelt.
»Caleb«, sagte Jessie mit bebender Stimme. Sie verrenkte sich noch einmal fast den Hals, nur um ihrem Bruder in die Augen zu sehen. Seine Entschlossenheit zu durchdringen. Den eisernen Willen. Die verfluchte Gehirnwäsche. »Caleb, hör mir zu!«
Wortlos zog er ein schwarzes Samttuch aus der Tasche und schlang es ihr um den Kopf. Obwohl Jessie sich wehrte, legte er es ihr über den Mund und zog es fest, knebelte sie.
Als er sich abwandte, starrte sie hilflos seinen Rücken an.
Sie hatte diesen Rücken gestreichelt, als sie noch kleiner gewesen waren. Neben ihrem Bruder hatte Jessie sich damals gern in den Betten ausgestreckt, die sie für eine Nacht ihr Eigen nennen konnten, und Calebs Rücken gestreichelt, bis die Albträume aufhörten. Als sie älter wurden und Caleb zu stolz, sich von seiner Schwester wie ein Baby behandeln zu lassen, hatte sie sich neben ihn gelegt, damit er nicht allein war. Sie hatten Karten gespielt, stundenlang geredet.
Zählte das alles nichts? War es nicht genug gewesen?
Heiße Tränen rannen Jessie die Wangen hinab, und ihr Herz brach in tausend Stücke.
»Legt die Seherin in Fesseln!«
Curios Stimme schallte über das Wasser und die Köpfe der Menge rundherum hinweg. Die beiden Hexen, die Buch, Kerze und Messergebracht hatten, umrundeten die Insel. Es waren dürre Frauen mit leeren Augen in schmalen Gesichtern. Schwestern, dachte Jessie. Blut war immer dicker als Wasser.
Knochige, dürre Finger packten Jessie ins Haar und rissen ihr den Kopf in den Nacken, sodass ihr Blick hinauf in den von Feuern erleuchteten künstlichen Himmel der Unterstadt ging. Rauch brannte Jessie in den Augen, die Hitze ließ sie husten, würgen unter dem Knebel.
Gleich darauf erstickte sie fast an ihren eigenen Schreien, als ihr die Messerklinge erst über die eine Wange gezogen wurde, dann über die andere. Schmerz lief in Wellen durch ihren ganzen Körper, steigerte sich, als eine weitere Klinge ihr ins Fleisch der Unterarme schnitt. Jessie wehrte sich, strampelte, aber die Schwestern ließen sich bei ihrem schweigend verrichteten Werk nicht stören. Sie schoben ihr Shirt hoch und zogen mit dem Messer einen dünnen Schnitt über ihre Taille, dann ihre Oberschenkel. Es waren scharfe, oberflächliche Schnitte: Jeder führte über einen Energiepunkt. Als die beiden Hexen schließlich die letzten Schnitte in ihre Waden machten, schluchzte Jessie, hysterisch vor Schmerz und Angst. Sie wussten genau, dass mit dem Blutfluss magische Kräfte zirkulierten, und dadurch hielten sie Jessie im Zaum. Der Zugang zu ihren eigenen magischen Kräften blieb Jessie verwehrt. Sie banden sie mit ihrem eigenen Blut.
Sie nahmen ihr den Knebel ab. Jessie biss die Zähne zusammen, keuchte, versuchte trotz der Schmerzen, durch den Schmerz hindurch zu atmen, den Schmerz durch sich hindurchfließen zu lassen. Obwohl ihr alles vor Augen verschwamm, sah sie Caleb neben dem Zirkelmeister stehen. Die Arme vor der Brust verschränkt, schaute er zu.
Er hatte einfach dagestanden und zugesehen, wie die Schwestern ihr die Schnitte beibrachten, sie bluten ließen.
Die Schwestern zogen sich zurück. Im goldenen Feuerschein schimmerten die Klingen ihrer Messer blutrot.
Curio hob die Arme, als seine Gehilfinnen sich neben ihn stellten. Neben ihn und Caleb.
Er rief: »Legt den Weissager in Fesseln!« Calebs Gesicht verzerrtesich vor Wut. Er wirbelte herum, als die Schwestern nach ihm griffen, schlug auf die beiden ein. Eine bekam er zu fassen und warf sie von der Insel aus Beton. Die Hexe schrie, ruderte wild mit den Armen, als sie in das Wasser platschte und kurz in der modrigen Brühe untertauchte.
Jessie holte tief Luft. Was zum Teufel ging da vor? Mit aller Kraft kämpfte sie gegen die Ohnmacht an, die ihr Sinne und Verstand vernebelte, bemühte sich um Konzentration. Sie wollte nicht ins Vergessen driften. Stattdessen sah sie, wie Caleb die Hand nach Curio ausstreckte.
Der Hand entsprang geballte magische Kraft, ungekannte, ungeheure Kräfte peitschten um Curios stählerne Gestalt, seine zeremonielle Robe. Blut schimmerte im Kerzenlicht. Die Zuschauer, Hexen wie Hexer, keuchten auf.
Curio fasste sich an die Kehle. Als er sie zurückzog, waren seine Finger blutgetränkt. Erst kicherte er, dann lachte er aus vollem Halse, kehlig, dröhnend. Er schnippte mit den blutigen Fingern, und Caleb taumelte, ging in die Knie, aschfahl im Gesicht. Er krümmte sich
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